Elben Drachen Schatten
gefährlich (wenn man dem glaubte,was die Ghormallier Edro und seinen Gefährten berichtet hatten), aber mit den tiefen Wäldern, die im Osten die Ufer des Stroms bedeckten, war dies nicht so. Räuberische Stämme lebten hier, die schon so manchen Reisenden überfallen und ausgeplündert hatten. Die Ghorraparen, so nannte man sie in Ghormall, aber es gab viele Namen für sie.
"Gut, dass wir nicht den ganzen Weg bis zum Berg der Götter, dem Uytrirran, zu Fuß zurücklegen müssen", meinte Mergun und setzte noch etwas Unverständliches hinzu. Sie waren noch nicht lange unterwegs und der große Strom war noch weit. Eine Tagesreise, wenn sie sich beeilten und nichts Unvorhergesehenes dazwischen kam, so schätzte Edro. Das Gebiet, welches die kleine Gruppe zu überwinden hatte, war nicht ganz einfach. Hin und wieder gab es tückische Moore und gefährliche Sümpfe zu umgehen. Im Südosten erhoben sich - fern und schön - schneebedeckte Gipfel. Sie waren die letzten Ausläufer der Berge von Ghormall.
"Es wäre mir unmöglich, für immer in einer Stadt wie Ghormall zu leben", knurrte Mergun an Edro gewandt. "Ich glaube, ich würde im dortigen Gestank ersticken!" Edro lächelte.
"Mir scheint, Ihr habt recht. Ghormall ist keine schöne Stadt."
"Ich verstehe nicht, warum sich die Menschen in Städte zusammen drängen, wo doch die Welt groß genug ist, um anders zu leben." Mergun wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Kiria und Lakyr gingen schweigend ihres Weges und auch die zweiköpfige Katze gab keinen Laut von sich. Lakyr hielt sie auf seinem Arm und streichelte sie. Mit jedem Schritt, den er tat, wuchs seine Sehnsucht nach Elfénia. Sein sonst eher düsteres Gemüt war aufgeheitert und voller Erwartung und Hoffnung. Und wenn nun nicht einmal die Götter des Uytrirran wussten, wo dieses Land lag? Lakyr wagte kaum, daran zu denken. Allein die Vorstellung jagte ihm kalte Schauer über den Rücken und ließ ihn erzittern. Aber immer wieder verdrängte er solche Gedanken. Nach einigen Stunden legten sie eine kurze Rast ein und aßen etwas.
"Dies scheint ein menschenleeres Land zu sein", meinte Lakyr, wobei er sich einen Bissen in den Mund stopfte. Ja, es war tatsächlich so. Weit und breit war niemand zu sehen. Nur ein leiser Wind pfiff über die seichten Hügel. Vorsichtig strich er über das Gras und krümmte es. Kiria blickte Edro an, aber er erwiderte ihren Blick nicht. Nachdenklich starrte er auf die sich biegenden Grashalme.
"Worüber macht Ihr Euch Gedanken, Edro?", fragte sie dann nach einer Weile und der Dakorier wandte ruckartig den Blick zu ihr.
"Da ist eine Frage, die mich quält. Sie kehrt in gewissen Zeitabständen wieder und stellt sich mir immer von neuem", erklärte er. Kiria runzelte die Stirn.
"Was ist das für eine Frage?"
"Ich frage mich, warum ich bin. Ich frage nach dem Sinn meines Lebens - wenn es so etwas überhaupt gibt. Vielleicht finde ich in Elfénia eine Antwort auf meine Frage,wer weiß?" Ein trauriger Glanz trat in seine Augen, so wie Kiria es von ihm gewohnt war.
"Ich verstehe Euch mit jedem Tag schlechter, Edro. Ihr sucht ein Land, das es nicht gibt und sucht Antworten auf Fragen, die völlig unsinnig sind. Es gibt keine Antwort auf Eure Frage!" Sie schüttelte den Kopf und ihre braunen Haare fielen ihr ins Gesicht. Ihre blauen Augen sahen auf den Grasboden, so, als könne sie auf ihm irgendwelche Dinge lesen.
"Mir kommt das Leben verdammt sinnlos vor!", sagte Mergun düster. Seine Augen verengten sich etwas, als er weiter sprach.
"Wir sind dazu verflucht, ein Land zu suchen, das es vielleicht gar nicht gibt, wir sind dazu bereit, um die halbe Welt zu reisen, um einen Hinweis zu finden, der uns unter Umständen den Weg in dieses Land weisen kann. Ich suche ein Land, in dem ich vielleicht schon einmal gewesen bin und es wieder verließ, weil es zu unmenschlich war. Aber dennoch suche ich wie ein Verrückter nach ihm und nehme selbst die Gefahren einer Reise zum Berg der Götter auf mich, obwohl ich ahne, dass Elfénia nicht das Land meiner Träume ist. Wer sagt mir, wo da in all diesem Chaos noch ein Sinn liegt? Nein, Freunde, das Leben ist ein Chaos - das Schicksal ist kein wohlgewebtes Netz oder ein ewiger Kreis! Nein, es ist ein Haufen ineinander verknoteter und verwirrter Wollknäule. Keinerlei Ordnung oder Gesetzmäßigkeit oder Sinn ist dort. Bevor man sich die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt, Edro, sollte man sich fragen, ob es einen solchen Sinn überhaupt gibt."
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