Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
die Zeiten zurück, in denen man sie noch als Götter verehrt hatte … und sehnte sich danach zurück. Wenn das Tor erst wieder offen wäre, würden diese Zeiten von neuem anbrechen.
Ein uralter, mächtiger Zauber, mächtiger noch als die Magie Alberichs, schützte diesen Ort vor den Lichtelben. Sie konnten ihn nicht betreten – ihm nicht einmal nahe kommen. So oft sie auch versucht hatten, ihn zu zerstören, sie waren noch jedes einzelne Mal gescheitert und hatten nicht selten einen hohen Preis gezahlt. Und so hatten sie es schon vor Jahrhunderten endgültig aufgegeben. Selbst das schreckliche Bombardement der Stadt im Februar 1945 durch die Alliierten hatte dem Club nichts anhaben können.
Lau’Ley erhob sich und schlenderte durch die Menge. Sie überlegte kurz, ob sie sich ein paar Männer angeln sollte, entschied sich dann aber dagegen. Sie hatte mehr Lust, Laurin bei seinem Treiben zuzusehen.
Sie ging von der Tanzfläche und dem von den Klängen der Bassboxen vibrierenden Hauptraum weg und betrat einen Gang, der von zwei von Laurins Kriegern in maßgeschneiderten Anzügen gesichert war. Die beiden nickten ihr kurz untertänig zu und ließen sie passieren. Der Gang endete mit einer elektronisch gesicherten Stahltür. Lau’Ley fuhr mit ihren Fingernägeln aus Titan über das Schloss, und die Tür schwang nach innen auf. Der Flur dahinter war sehr, sehr viel älter als der Club. Die Wände waren aus grob behauenen Natursteinen gemauert, und die steinernen Bodenplatten waren in der Mitte durchgetreten … von Abertausenden von Füßen, die diesen geheimen Weg gegangen waren.
Dieser zweite Flur führte zu einer zweiten Tür – ebenfalls wesentlich älter als die erste, aber deswegen kein Stück schlechter gesichert. In die dicken Eichenbohlen waren Schutzrunen eingraviert. Lau’Ley wusste im Schlaf, welche davon sie in welcher Reihenfolge berühren musste, und kurz darauf schwang auch diese Tür beinahe schwerelos auf. Von hier ging eine in den Fels gehauene Treppe in die Tiefe. Siebenmal dreizehn Stufen. Was ursprünglich einmal eine ganz pragmatische Angelegenheit gewesen war, um die Höhe zwischen den Ebenen im angemessenen Winkel zu überwinden, hatte sich im Laufe der Jahrhunderte zu menschlichem Aberglauben entwickelt. Lau’Ley schwebte sie hinab, um den Saum ihres Kleides nicht schmutzig zu machen.
Unten angekommen, bedeutete sie den beiden weiblichen Draugar, die vor einer dritten Tür Wache hielten, diese für sie zu öffnen. Die beiden trugen die für ihre untote Art typischen, halb verrotteten schwarzen Ballkleider und lächelten bloß, um ihre Fangzähne zu zeigen, die um einiges länger waren als die der Elben. Also hatte Laurin heute zu einer Nacht der Vampire eingeladen; seit mittlerweile über hundert Jahren das beliebteste Spiel seiner menschlichen Gäste. Lau’Ley, die wusste, wie harmlos die Draugar im Vergleich zu Elben oder Sirenen, ja sogar im Verhältnis zu den Mannwölfen waren, würde diese Faszination nie nachvollziehen können. Draugar raubten das Blut, das sie zum Überleben brauchten, stets nur von schlafenden Opfern, weil sie so verdammt verletzlich und gebrechlich waren – und auch nur bei Nacht, weil sie die Sonne nicht vertrugen. Seit jedoch dieser irische Schriftsteller Ende des neunzehnten Jahrhunderts seinen inzwischen weltberühmten Vampir-Roman geschrieben hatte, fanden sie unter den Menschen ausreichend Freiwillige, die sie ihr Blut trinken ließen, in der irrigen Hoffnung, dadurch ebenfalls unsterblich zu werden.
In dem von Laurin beherrschten Gebiet war es den Draugar unter Androhung der Höchststrafe verboten, dabei Leben zu nehmen – aber Blut war in Ordnung, solange sie beim Trinken keine bleibenden Schädigungen hinterließen. In den vergangenen zwanzig Jahren war es dank des Internets immer leichter geworden, in sogenannten schwarzen Foren und Chatrooms Kontakt zu den Interessierten unter den Menschen aufzunehmen. Sie reisten von überallher an, und so feierten sie hier unten in den Höhlengewölben des Albion zwei bis drei Mal im Jahr Orgien, bei denen Elben und Draugar vorgaben, Menschen zu sein, die vorgaben, echte Vampire zu sein.
Lau’Ley, die mit einem einzigen Blick und dem Klang ihrer Stimme jeden Sterblichen und auch so manche Unsterbliche dazu verführen konnte, exakt das zu tun, was sie wollte, hatte diesen Scharaden noch nie etwas abgewinnen können, und sie hatte auch nie verstanden, was Laurin, dessen hypnotische Kräfte nicht sehr
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