Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
sinnvolle Alternative. Vielleicht ein Limousinen-Service, den sie beim Concierge buchen konnte – aber der wäre ganz bestimmt nicht billiger, und nach dem Chaos, das sie hier in der Suite angerichtet hatte, wäre sie in einer über das Hotel gemieteten Limousine viel zu leicht aufzuspüren. Das erinnerte sie daran, dass es klüger wäre, auch das Taxi nicht vom Hotel bestellen zu lassen, sondern eines von der Straße zu nehmen. Je weniger Spuren sie hinterließ, umso besser.
»Also, Jungs«, sagte Svenya, als sie alle ihre Sachen beisammenhatte. »Ich hau jetzt ab. Ich verlasse mich darauf, dass ihr mir nicht folgt – ansonsten hätten wir ein echtes Problem.«
»Keine Sorge«, sagte Wargo. »Viel Glück!«
»Danke.«
»Wartet, Eure Hoheit«, sagte Raik und erhob sich aus dem Sessel.
»Nein, Raik«, entgegnete sie. »Nichts kann meine Meinung ändern.«
»Oh, das habe ich verstanden«, sagte er leise und griff in eine seiner vielen Taschen.
Svenyas Hand zuckte automatisch zum Griff ihrer Pistole.
Raik machte mit der freien Hand eine abwehrende Geste. »Schon in Ordnung«, sagte er. »Kein Grund zu schießen. Ich möchte Euch nur etwas geben.«
Svenya beobachtete misstrauisch, wie er eine kleine Schatulle hervorkramte.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Ein Geschenk.« Er öffnete die Schatulle. Darin lag ein schlichter Ring aus Titan.
»Eine Wanze?«
»Bitte?« Raik schien nicht zu verstehen.
»Na, um mich zu orten.«
»Nein«, sagte er. »Das ist der Ring der Hüterin. Er verstärkt deine Kräfte. Er gehört dir. Nimm ihn mit.«
»Ich bin nicht die Hüterin«, sagte Svenya abweisend und machte keinerlei Anstalten, den Ring entgegenzunehmen. »Ich habe den Test nicht abgelegt.«
»Für die Wirkung des Ringes spielt das keine Rolle.« Raik trat zu ihr hin, nahm ihre Hand und wollte ihn ihr anstecken.
Sie zog die Hand zurück. »Wenn er der Hüterin gehört, hebt ihn auf und gebt ihn der, die meine Stelle ausfüllt.«
Raik schaute sie irritiert an.
»Na, der nächsten Hüterin«, sagte sie erklärend.
Raik zog eine Augenbraue hoch. »Es wird keine andere Hüterin geben«, sagte er. »Es war dein Schick… ähm, ich meine deine Bestimmung – niemandes anderen.«
»Was soll das heißen?«
»Entweder wirst du die Hüterin oder keine. Hier, trage ihn mit all den Erinnerungen an uns, die keine schlechten waren.«
Svenya war so verblüfft, dass sie sich nicht länger sträubte und zuließ, dass Raik ihn ihr über den Finger schob. Sogleich fühlte sie sich tatsächlich stärker … lebendiger … wacher.
»Äh … danke«, sagte sie und nahm seine Hand. »Und ich möchte, dass du weißt, dass es bei weitem nicht nur schlechte Erinnerungen sind, die ich mit mir nehmen werde.« Sie küsste ihn auf die Wange. Er wurde erst rot und rieb sich dann fassungslos mit den Fingerspitzen die Stelle, die sie geküsst hatte.
Svenya sah Wargo an. »Und du willst wirklich nicht mitkommen?«
»Wenn es ums Wollen ginge«, sagte der mit einem Seufzer. »Aber das hatten wir ja schon. Leb wohl, Svenya!«
»Leb wohl, Wargo.« Sie küsste auch ihn auf die Wange und sprang durch das zerbrochene Fenster nach draußen in die Nacht.
35
Dresden – CLUB ALBION
Lau’Ley räkelte sich in einem Sessel der VIP-Lounge und schaute den Menschen beim Tanzen zu. Sie sah sich gerne Menschen an. Besonders hier, in einem von Laurins Luxus-Clubs. Menschen amüsierten sie. Sie taten alles so eilig, so hektisch, so unüberlegt drängelnd. Besonders das Balzen und das Flirten. So als wüssten sie, dass die Jahre, die ihnen zur Verfügung standen, ihr Leben zu genießen, nur wenige waren und ihnen die Zeit zwischen den Fingern zerrann wie Sand. Und dennoch nahmen sie sich so furchtbar wichtig. Als würde irgendetwas, das sie taten, von Bedeutung sein … als hätte ihr Leben einen größeren, einen höheren Sinn. Besonders hier im Albion gebärdete sich jeder Einzelne von ihnen, als sei er der Nabel der Welt. Und keiner von ihnen hatte auch nur den Hauch einer Ahnung, dass auf demselben Boden, auf dem sie gerade tanzten, schon ihre Väter und Mütter, ihre Großeltern, ja ihre Vorvorvorväter getanzt hatten – denn das Albion war so alt wie die Zeit selbst. Schon lange, ehe hier das erste Gebäude stand, und Jahrtausende, ehe der große Krieg zur Schließung des Tores geführt hatte, war dieser Ort ein Hain der Dunkelelben, an dem sich Menschen zusammenfanden, um ihnen zu huldigen. Lau’Ley erinnerte sich nur zu gerne an
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