Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
viel geringer waren als die ihren, an ihnen reizte. Nicht dass er sie brauchte oder nötig hatte – bei seinem Aussehen und seinem finsteren Charisma hatte er schon immer jede Menschenfrau ganz ohne Umwege, Verführungskünste oder Hypnose haben können. Die einzige Erklärung, die Lau’Ley dafür hatte, dass er solche Spiele spielte, war, dass er mehr wollte als Bereitschaft und Willigkeit … ja mehr noch als Hingabe … er wollte Anbetung … so wie früher, als allein das Aussprechen seines Namens die Menschen bis tief ins Mark erschaudern ließ. Doch diese Erklärung hinkte – Laurin war viel zu mächtig und sich dessen auch mehr als ausreichend bewusst, um derart profilneurotisch zu sein. Vielleicht war es einfach nur ein Hobby. Wer wusste schon, was in ihm vorging und was ihn bewegte?
Auf seine Vorliebe für Menschenfrauen war Lau’Ley noch nie eifersüchtig gewesen – sie lebten einfach nicht lange genug, um wirklich zu einer nennenswerten Bedrohung für sie zu werden, und die Besten unter ihnen brachten ja auch ihr jede Menge Freude, wenn er sie mit ihr teilte.
Sie schwebte durch die Vorhalle und sank mit den Füßen auf den Boden herab, ehe sie den Hauptkeller betrat. Seine uralten Säulen und Kreuzgewölbe wirkten auf Lau’Ley vernachlässigt unmodern – auf die Menschen aber wohl archaisch und mystisch, weshalb Laurin sie ganz absichtlich in diesem Zustand belassen hatte.
Die Orgie war bereits in vollem Gange.
Heute waren etwa vier Dutzend Menschen – ein Dutzend Männer und drei Dutzend Frauen – anwesend und außer Laurin, der sich auf einem Diwan aus Seidenpolstern gleich von dreien der Frauen verwöhnen ließ, noch vier Elben und zwei weibliche sowie fünf männliche Draugar. Außerdem natürlich der unersättliche Gerulf, der Hauptmann von Laurins Einsatztruppe, und Johann, der sich mit einer drallen Brünetten mitten auf der Festtafel vergnügte. Offenbar hatte Laurin ihm seinen Patzer mit Tapio verziehen.
Lau’Ley schenkte sich einen Pokal mit Champagner ein und ging hinüber zu dem Diwan, wo sie sich etwas abseits neben Laurin legte, um dem Treiben zuzuschauen. Auch wenn sie nicht eifersüchtig war, beneidete sie die Frauen, mit denen Laurin sich vergnügte, um die beinahe schon unschuldige Freude in seinem Blick und sein befreites Lachen. Diesen Blick hatte er nie, wenn er mit ihr spielte – dann war er wild und herrisch … und eigentlich liebte sie das ja … aber wie schon beim Kampftraining war sie einfach neidisch auf alles, was ihm andere geben konnten und sie nicht.
Er hatte sich aber auch wieder Schönheiten ausgesucht!
Alle drei hatten sie ihr langes Haar im Gothic-Style schwarz gefärbt und waren am ganzen Körper tätowiert. Zwei von ihnen auch an diversen Stellen gepierct.
Das Zuschauen steigerte Lau’Leys stets leicht zu schürende Lust, und sie hoffte, dass Laurin sie bald einladen würde, an dem Spiel teilzuhaben. Bis dahin würde sie still hier liegen und an ihrem Champagner nippen, um ihm nicht den Eindruck zu vermitteln, sich aufdrängen zu wollen.
Doch zu einem gemeinsamen Spiel kam es nicht.
Ein Telefon klingelte – und Laurin runzelte unwirsch die Stirn. Er gab stets Befehl, hier unten nicht gestört zu werden, wenn es nicht absolut dringend war. Er bedeutete Johann, das Gespräch entgegenzunehmen, und diensteifrig wie immer wieselte der Geheimrat sofort in den Nachbarraum davon, um dem Befehl seines Meisters Folge zu leisten.
Wenige Sekunden später kehrte er zurück – mit einem triumphierenden Lächeln im Gesicht.
»Es war unsere Quelle in Elbenthal«, rief er begeistert. Offenbar war er froh, dass jetzt auch er wusste, wer das war.
»Was ist?«, fragte Laurin.
»Die Auserwählte«, sagte Johann. »Sie ist geflohen.«
»Sie ist was?!«
»Sie ist aus der Festung geflohen. Offenbar weigert sie sich, die Hüterin zu werden.«
Laurin lachte auf, und seine Eckzähne blitzten. »Dann bin ich wohl nicht der Einzige, der Alberich und Hagen einen Strich durch die Rechnung machen will. Worauf wartet Ihr? Gerulf, ruf deinen Trupp zusammen. Findet sie und bringt sie zu mir nach Aarhain!«
TEIL 5
VERFOLGT
36
Dresden
Nur gegen Vorauszahlung der Hälfte des geschätzten Beförderungspreises war der Taxifahrer, ein hagerer Endfünfziger mit Schiffermütze und fein gestutztem, aber milchkaffeeverklebtem Oberlippenbärtchen, überhaupt dazu bereit, die nächtliche Fahrt nach Leipzig anzutreten. Er hielt Svenya einen Vortrag darüber,
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