Elbentod: Die Zwerge von Elan-Dhor 3 (German Edition)
aber rasch rückten sie enger zusammen und schlossen die Lücken, um ihren Vormarsch fortzusetzen.
Ob sie selbst auch jemanden getroffen hatte, wusste Thalinuel nicht. Es war unmöglich, bei dieser Vielzahl einen einzelnen Pfeil zu verfolgen. Sie bemühte sich, möglichst nicht daran zu denken, dass sie vielleicht gerade zum ersten Mal Angehörige ihres eigenen Volkes tötete, während sie einen Pfeil nach dem anderen aus dem Köcher zog und abschoss. Sie durfte die königlichen Truppen nicht als Elben sehen, sondern musste sie als einen Feind betrachten, der auch ihr Leben im Kampf nicht schonen würde.
Kurzzeitig geriet der Angriff unter dem heftigen Pfeilbeschuss ins Stocken, doch rasch gelang es den Befehlshabern, die Krieger wieder anzutreiben.
Kurz darauf hatten sich die ersten den Festungsmauern genähert. Hier waren sie für die Bogenschützen kaum noch erreichbar. Stattdessen griffen die Verteidiger zu kopfgroßen Gesteinsbrocken, die an vielen Stellen aufgeschichtet waren, und warfen sie in die Tiefe. Gegen die Wucht des Aufpralls war auch ein schützend hochgehaltener Schild machtlos, konnte sie allenfalls etwas abmildern.
Angesichts der Höhe der Mauern wären ungeheuer lange Leitern nötig gewesen, die die Angreifer bei ihrem Vormarsch nur behindert hätten. Stattdessen hatten sie Seile mit Widerhaken an einem Ende bei sich, die sie nun über die Mauern schleuderten. Für die eher behäbigen Menschen wäre es mühsam gewesen und hätte viel zu lange gedauert, daran hinaufzuklettern, doch die Elben schienen jeder Schwerkraft zum Trotz flink wie Spinnen daran in die Höhe zu gleiten.
Viele der Seile wurden von den Thir-Ailith auf den Mauern mit ihren Schwertern gekappt, aber sie schafften es längst nicht bei allen. Einige furchtbare Szenen spielten sich ab, sowohl vor der Festung wie auch auf den Wehrgängen. Statt sich nur an den Mauern zu verkanten, trafen zahlreiche Widerhaken die Verteidiger, bohrten sich tief in ihr Fleisch und pressten sie gegen die Zinnen, sobald die Seile belastet wurden, bis es jemandem gelang, sie durchzuschneiden.
Krieg , dachte Thalinuel. Das war der Krieg mit all seinen Schrecken und Widerwärtigkeiten. Noch immer erschien es ihr kaum vorstellbar, dass Elben in der Lage waren, anderen Elben so etwas anzutun, obwohl sie selbst mittendrin steckte und ein Teil davon war.
Sie hatte bereits an zahlreichen Kämpfen teilgenommen, allerdings nur gegen andere Völker. Auch davon waren manche äußerst blutig gewesen, am schlimmsten die Erstürmung einer Zwergenmine vor einigen Monaten. Aber dieses verbissene Gemetzel hier übertraf schon jetzt alles.
An verschiedenen Stellen war es einigen Angreifern mittlerweile gelungen, auf die Mauern zu gelangen. Gegen die Übermacht der Thir-Ailith hielten sich die meisten nur wenige Sekunden, doch ihr Opfer verschaffte anderen Gelegenheit, in ihrem Rücken ebenfalls die Wehrgänge zu erreichen, so dass ihre Zahl rasch zunahm. Jeder Feind, der die Verteidiger in Kämpfe verwickelte und sie so davon abhielt, die Seile zu kappen, ermöglichte zahlreichen weiteren einen ungefährdeten Aufstieg.
Und weitere Truppen waren bereits im Anmarsch …
»Nehmt die Wehrgänge unter Beschuss! Sie dürfen die Mauern nicht in ihre Gewalt bringen!«, rief Olvarian. Der große Turm über dem Tor, auf dem er und auch Thalinuel sich mit etwa zwei Dutzend weiteren Elben befanden, war bislang nicht angegriffen worden, so dass sie relativ ungehindert ihre Pfeile auf die frisch heranrückenden Kolonnen abschießen konnten.
Den Befehl hatte sie erwartet, aber auch befürchtet. Es war etwas anderes, durch Lücken in dem anonymen Wall hochgehaltener Schilde zu schießen, selbst wenn sie wusste, dass sich Elben dahinter befanden, als direkt auf einen Gegner anzulegen, dessen Gesicht sie sehen konnte, und ihn zu töten.
Dennoch zögerte sie nicht, dem Befehl nachzukommen. Obwohl ihr selbst das Herz dabei blutete, zielte sie auf einen Elb, der sich gerade über die Mauer schwang. Diesmal konnte sie deutlich sehen, wie ihr Pfeil ihn in die Brust traf und er in die Tiefe stürzte.
Es war jedoch weniger schlimm, als sie befürchtet hatte. Die Schrecken des Krieges ließen einen schnell verrohen, und es gelang ihr immer besser, die Angreifer nur noch als Feinde und nicht als ihre Brüder und Schwestern vom gleichen Blut zu betrachten.
Wieder legte sie einen Pfeil auf, spannte die Sehne, zielte und ließ den Pfeil fliegen, und wieder stürzte einer der Feinde
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