Elbenzorn
Nachrichten. Deine Mutter ist wieder da.«
Das Kind schlug die Augen auf und sah ihn schlaftrunken an. »Papa?«, murmelte es. »Wo ist Mama?«
»In der Küche bei Tante Leniita«, erwiderte Olkodan und durchwühlte den Kasten. »Komm, Großer. Sie holt uns gleich ab, und dann wollen wir angezogen und fertig sein.«
Als Iviidis ins Zimmer kam, lagen beide schlafend nebeneinander im Bett. Indrekin war ordentlich angezogen und hatte sich in seines Vaters Arm gekuschelt. Beide hatten ein Stück Brot in der Hand. Iviidis sah auf sie hinab und lächelte ein wenig traurig. Dann rührte sie an Olkodans Schulter, der sofort die Augen aufschlug. Er sah zum Fenster, durch das die Sonne hereinschien. »Wo ist das Kindermädchen?«, fragte er.
Iviidis hob die Schultern. »Es sind schon seit Tagen nicht mehr alle Bediensteten zur Arbeit erschienen«, sagte sie. »Leniita hat sich darum gekümmert, dass Indrek versorgt wurde.« Sie schob Olkodans Beine beiseite und setzte sich aufs Bett. »Ich gehe gleich und suche meinen Vater auf«, sagte sie.
»Was?«, Olkodan griff überrascht nach ihrer Hand. »Sollten wir nicht lieber Indrekin nehmen und sehen, dass wir fortkommen, solange hier alles drunter und drüber geht?«
Iviidis schüttelte verbissen den Kopf. »Ich habe eine Aufgabe«, wiederholte sie. »Olko, nimm Indrek und reite mit ihm nach Hause. Geh zu den Stallungen unten bei den Dienstbotenquartieren und frag nach Vidas. Er kennt dich. Er soll dir ein sanftes Pferd geben.« Sie lächelte. »Indrekin wird sich freuen.«
Der Junge wachte auf und sah seine Mutter. »Mama, wo warst du?«, rief er und sprang ihr in die Arme. Iviidis umarmte ihn fest.
Olkodan betrachtete sie unbehaglich. »Ich weiß nicht …«, begann er.
»Ich bitte dich darum«, sagte Iviidis bestimmt. »Wenn Indrek nicht hier wäre … Aber ich möchte, dass er in Sicherheit ist. Mir wäre es auch lieber, dich an meiner Seite zu haben, aber wem könnte ich sonst unser Kind anvertrauen?«
Olkodan starrte sie an. »Ich möchte warten, bis du mit Glautas gesprochen hast«, sagte er.
Iviidis schüttelte den Kopf. »Ich kann dich nicht dazu zwingen«, sagte sie. »Aber ich bitte dich: Nimm Indrekin und geh.« Sie stand auf und schloss für einige Atemzüge die Augen. Dann lächelte sie Olkodan und ihrem Sohn zu. »Vielleicht gehst du jetzt erstmal mit ihm in die Küche. Lasst euch ein Frühstück geben.« Sie küsste Olkodan und den Jungen, der immer noch verschlafen blinzelte, und ging hinaus.
»Ah, Broneete. Ausgezeichnet, ich wollte gerade nach dir schicken.« Glautas deutete auf einen Stuhl und rieb sich über die Augen. »Setz dich, ich bin gleich fertig hiermit. Oder gab es etwas Dringliches?«
Broneete schüttelte den Kopf und nahm Platz. Dankbar streckte sie ihre bleischweren Beine von sich. Seit der Ausnahmezustand ausgerufen worden war, war sie pausenlos auf den Füßen gewesen – so kam es ihr zumindest vor. Die teils verängstigten, teils aufgebrachten Bewohner des Sommerpalastes hielten die Gardisten mit ihren Wünschen und Beschwerden in Atem – und seit die Garde auch noch dafür zu sorgen hatte, dass die nächtliche Ausgangssperre eingehalten wurde, konnte sie ihren Dienst nur noch im Laufschritt erledigen. Jetzt war früher Morgen, sie war nicht im Bett gewesen, hatte nicht gefrühstückt und konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, ob sie gestern etwas zu Abend gegessen hatte.
Broneete betrachtete den Obersten Tenttai, dem man den Schlafmangel und die Sorgen der letzten Tage ebenfalls deutlich ansah. Sein Gesicht war angespannt, in seiner Wange zuckte regelmäßig ein Muskel, und er rieb sich immer wieder mit einer nervösen Geste über die Nasenwurzel. Er las ein Dokument, das er von einem Stapel ähnlich aussehender Schreiben vor sich genommen hatte, und kritzelte hin und wieder eine Anmerkung an den Rand.
Endlich legte er das Blatt beiseite und sah auf. »Hat mein Bote dich erreicht?«, fragte er.
»Die Suche nach dem Zwerg läuft, yun-Ttai «, erwiderte Broneete. »Ich habe alle verfügbaren Gardisten zu der bezeichneten Hütte geschickt und Anweisung gegeben, auch die Umgebung zu durchkämmen. Wenn er festgenommen wurde, bekomme ich sofort Bescheid.« Sie räusperte sich. »Wenn ich mit dem Informanten einmal persönlich sprechen dürfte …«
»Das ist leider nicht möglich«, erwiderte Glautas knapp. »Er ist zu schwer verletzt. Zinaavija kümmert sich um ihn und will nicht, dass er in der nächsten Zeit einem
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