Elea: Die Träne des Drachen (Band 1) (German Edition)
und ihr deren bevorstehende Fortsetzung am nächsten Tag noch weit entfernt schien, schwirrten ihre Gedanken um Maél. Wie soll ich nur die Nächte ohne seinen warmen, beschützenden Körper überstehen? Sie war so voller Sehnsucht nach ihm, dass sie ihm sogar längst seine übertriebene Demonstration von Gewalt vor Darrach und Roghan verziehen hatte. Plötzlich erinnerte sie sich an die dicke, schwarze Strähne, die er ihr von seinen Haaren abschnitt. Sie war einen kurzen Moment versucht, aufzustehen und sie sich zu holen. Doch sie war viel zu müde. Sie beschloss, gleich am nächsten Morgen ein besseres Versteck für sie zu suchen, da Belana sie leicht finden konnte, wenn sie in ihrem Rucksack herumschnüffeln würde. Und da es im ganzen Königreich vermutlich nicht viele gab, die rabenschwarzes Haar hatten, würde Belana vielleicht Verdacht schöpfen und ihr unangenehme Fragen stellen.
Die Sehnsucht nach Maél sollte Elea nicht lange quälen. Die schwere, einlullende Wärme und der betäubende Duft der ätherischen Öle entführte sie schnell in einen tiefen Schlaf.
Elea schlug die Augen auf, weil sie das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Ruckartig richtete sie ihren Oberkörper auf, sodass die Decke von ihr hinunterglitt und ihr Körper von einer erbarmungslosen Kälte schockartig ergriffen wurde. Das Feuer im Kamin war heruntergebrannt. Schnell legte sie sich wieder auf den Rücken und zog die Decke bis zu ihrem Kinn hoch. Sie ließ ihre Augen in dem Zimmer umherschweifen, auf der Suche nach einem sie anstarrenden Augenpaar. Ihr Zimmer lag in dämmrigem Licht, da nur noch die Öllampe auf dem Nachttisch brannte. Sie konnte niemand entdecken. Ihr Blick blieb an dem Holzladen, der immer noch vor das Fenster geschoben war, hängen. Sie verspürte mit einem Mal einen unerklärbaren Drang, den Laden wegzuschieben und aus dem Fenster zu sehen. Diesem Drang konnte sie nicht widerstehen. Sie setzte sich auf und wickelte sich so gut es ging in die riesige Felldecke ein. Dann glitt sie von dem Bett und begab sich trippelnd - fast über die Decke stolpernd - zu dem Fenster. Sie tastete halbblind an dem Mechanismus herum. Da sie nichts finden konnte, drückte sie den Laden nach links. Er ließ sich überraschend leicht und nahezu geräuschlos bewegen. Dahinter kam ein Fenster mit einer ähnlichen kunstvollen Verglasung zum Vorschein, die sie bereits im Thronsaal an den hohen Fenstern bewundert hatte. Sie öffnete den Riegel und zog den Fensterflügel zu sich ins Zimmer. Ein frostiger Luftzug stieß sogleich erbarmungslos auf ihr Gesicht, was sie jedoch nicht davon abhielt, ihren Kopf hinauszustrecken, um nach der Ursache für ihr unerklärliches Gefühl zu suchen. Vor ihr erstreckte sich wider Erwarten nicht der riesige Innenhof, sondern ein Garten, der aufgrund der vielen Bäume fast schon ein kleiner Park war. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung, da es in diesem Gemäuer offensichlich doch noch ein Stück Natur gab, an dem sie sich zumindest mit dem Auge erfreuen konnte. Die Morgendämmerung war schon im Gange, sodass der Garten nicht in nächtlicher Finsternis lag. Außerdem hatte sich der Nebel gelichtet, sodass sie ihn einer gründlicheren Prüfung unterziehen konnte. Durch das nahezu blattlose Geäst hindurch war ein Rundweg zu erkennen, der sich am äußeren Rand des Gartens entlangschlängelte und von dem gelegentlich Wege zur Mitte abzweigten. Und dort – sie wollte ihren Augen nicht trauen - im Herzen des Gartens befand sich ein großer Teich.
Ein Teich – hier oben auf dem Berg mitten in der Festung?
Aus dem Augenwinkel nahm sie plötzlich die Bewegung eines Schattens in der Nähe des Rundweges wahr, etwa siebzig, achtzig Schritte von ihr entfernt. Es war eindeutig eine menschliche Gestalt. Sie konzentrierte ihr ganzes Sehvermögen auf diese Gestalt, die bewegungslos an einem Baumstamm lehnte. Sie konnte aus dieser Entfernung kein Gesicht erkennen, aber sie spürte, dass die Gestalt genau in ihre Richtung sah. Nein, sie hatte sogar das Gefühl, dass sich deren Augen geradezu an ihr festgesaugt hatten. Ihr Herz begann auf einmal wie wild in ihrer Brust zu flattern.
Er ist es. Er muss es sein.
Elea stand wie gelähmt am Fenster. Viel mehr durfte sie ohnehin nicht tun. Sie konnte ja schlecht seinen Namen rufen. Vielleicht öffnete jemand zufällig das Fenster, in dem Moment, wo sie ihn rief. Auf einmal fiel ihr jedoch ein, dass er nicht nur im Dunkeln sehen, sondern dass er um ein Vielfaches besser hören
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