Eleanor Rigby
ungeklärtem Abwasser gesprengt.« »Gar nicht wahr.«
»Gib ja nicht mir und dem Abendessen die Schuld an deinen Bauchschmerzen.«
»Hab ich das vielleicht?«
Wir sahen weiter fern. Ich war gerade am Eindösen, als die Schmerzen mit Macht wieder einsetzten. Es war ein Gefühl, als wäre ich mit dem Fahrrad gegen einen Baum gefahren. Ich konnte unmöglich in den Wald gehen, um das Baby zu bekommen. Was hatte ich mir bloß dabei gedacht?
»Erdbeeren. Du musstest sie ja ungewaschen essen.«
»Bring mich ins Krankenhaus.«
Sie drehte sich zu mir um. Da ich weder zum Panikmachen noch zum Flunkern neige, war sie gezwungen, mich ernst zu nehmen. »Okay, mach ich.«
Die Fahrt verlief in angespannter Atmosphäre. Vater war total ahnungslos, aber Mutter wusste, dass etwas im Busch war. »Lizzie, du verschweigst mir etwas.«
»Später, Mutter.« Der Gedanke, dass sie im Wagen einen Koller kriegte, war zu viel für mich. Sie bohrte auf dem ganzen Weg zum Krankenhaus weiter, aber ich reagierte kurz angebunden. Nun war ich schon so weit gekommen — dann konnte ich die Sache ebenso gut zu Ende bringen.
Alles ging sehr langsam in jener Nacht, und dabei hatten die Krankenhäuser damals noch mehr Geld und mehr Personal als heute. Sie brachten mich in ein freies Zimmer (nur zwei von dem entfernt, in dem ich so viele Jahre später Jeremy kennenlernen sollte), und stellten mir lauter Routinefragen, während Mutter jedem Anwesenden die Worte »ungewaschene Erdbeeren« entgegenschleuderte. Der diensthabende Arzt kam herein, sagte guten Tag, stellte ein paar Fragen, tastete mich ab und sagte: »Bringen Sie sie rauf auf die Entbindungsstation. Aber flott.«
Ich zuckte mit den Schultern, während sie mich im Rollstuhl wegbrachten.
Mutters Gesicht!
~26~
In der halben Stunde zwischen meinem Anruf bei Jane und ihrem Eintreffen sagte Jeremy so gut wie gar nichts. Leslie und ich waren ratlos. Wir hatten beide den Verdacht, dass es etwas mit Drogen zu tun hatte, aber wir konnten nur warten. Dann sagte er: »Mit dem linken Auge kann ich jetzt wieder was sehen. Und es hat nichts mit Drogen zu tun.« »Womit dann?«
»Das ... sag ich nicht. Ich will es nicht aussprechen.«
»Warum nicht?«
»Jane wird bald hier sein.«
Wir saßen im Wohnzimmer zwischen Stapeln von traurigen Filmen, tranken Kaffee und warteten.
Dann erschien die geheimnisvolle Jane. Ich hatte fast eine Domina oder ein Goth-Girl mit unrasierten Achseln erwartet, aber stattdessen stand eine vernünftig wirkende Frau in den Zwanzigern mit einem schmalen Gesicht, einem netten Lächeln und einem blauen Anorak vor meiner Tür. Falls sie einen Hund haben sollte, dann vermutlich einen Collie mit einem IQ von 115; sie sah aus, als würde sie Unterschriften für den Tierschutzverein sammeln.
»Ich bin Jane.«
»Liz.«
»Wo ist er?« »Da drin.«
Ich war erleichtert. Sie setzte sich neben Jeremy und berührte sein Gesicht. Er legte seine Hand auf die ihre und sagte: »Tut mir leid.«
»Psst.«
Jeremy schlief ein, als wäre er auf einer Bühne vor Publikum hypnotisiert worden. Einigermaßen hysterisch fragte ich sie, was mit ihm los sei, aber zunächst erkundigte sich Jane nur danach, wie Jeremy und ich einander gefunden hatten und wie er in meiner Wohnung gelandet war. Als sie sich vergewissert hatte, dass ich sowohl ernst zu nehmen als auch ernsthaft besorgt war, sagte sie: »MS.«
»Oh.«
»Sie wissen nicht genau, was das ist, oder?« »Niemand weiß das so genau.«
Leslie sagte: »Das hat doch dieser Stephen Hawking - der intelligenteste Mensch der Welt.«
»Nein, das ist was anderes. Jeremy hat Multiple Sklerose.« Ich sagte: »Das ist schlimm, oder?«
Jane nickte: »Ja.«
»Wie schlimm?«, fragte Leslie.
Jane fragte: »Kann ich eine Tasse Kaffee haben?«
Ich schenkte ihr eine ein.
Anfangs wusste keiner von uns, wo er anfangen sollte, und dann wurde das Gespräch sehr schnell sehr medizinisch. Um nicht allzu sehr ins Detail gehen zu müssen, sage ich nur, dass es genau wie für Rom auch für MS viele Websites gibt.
Hier die Zusammenfassung: Aus unbekannten Gründen wird die Myelinschicht, die das Gehirn und die Nervenzellen des Rückenmarks schützt, angegriffen und löst sich nach und nach auf. Manche Leute geben einer weizenhaltigen Ernährung die Schuld, andere Amalgamplomben. Wieder andere glauben, der Auslöser seien Viren, die von Enten auf ihrer Reise ins Winterquartier in Süßwasserseen abgesetzt werden. Wie auch immer, durch die krankhaften
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