Eleanor Rigby
zugeschrieben, die ich genommen hatte.«
»Wann hast du angefangen - Dinge zu sehen?«
»Ungefähr einen Monat später.«
Leslies Telefon klingelte. Es war Mike, ihr Mann. »Liz, ich muss los. Wir müssen ein großes Familientreffen veranstalten oder so was. Das ist dir doch klar, oder?«
»Können wir das noch ein bisschen hinausschieben?«
»Wir reden morgen. Wann rufst du Mutter an und sagst es ihr?«
»Wenn Jeremy schläft.« »Sie wird ausflippen.«
~27~
Ach, wenn ich doch ein Foto von dem Gesicht hätte, das Mutter machte, als ich auf die Entbindungsstation gebracht wurde! Oder von Vaters — oder auch von meinem. Sie schauten drein, als wären sie gerade mit Eiern beworfen worden.
Ob sie den Ärzten und Schwestern gegenüber je durchblicken ließen, dass sie nicht Bescheid wussten? Nein. Wie gesagt: Das Gute an einer Familie ist, dass alle genau wissen, wann man ein wichtiges Thema totschweigen sollte.
Die Geburt war nicht besonders schmerzhaft - ich glaube, ich bin zur Fortpflanzung geschaffen. Ich hatte schon Pickel, die mehr wehgetan haben, als ein Kind zur Welt zu bringen. Ich übertreibe, aber dieser Teil war leicht, zumal ich Schmerzmittel bekam. Vor allem aber erinnere ich mich daran, wie peinlich es mir war, dass so viele Menschen mir ihre Aufmerksamkeit widmeten: Guckt gefälligst woanders hin! Hört auf mich anzustarren! Ich mag es nicht, wenn andere Leute so viel Wirbel um mich machen, Entbindung hin oder her. Die ganze Zeit wollten irgendwelche Krankenschwestern meine Hand halten. Ich fand das albern, aber dann wurde mir klar, dass ich noch nie mit jemandem Händchen gehalten hatte, und das machte mich traurig — was wiederum als medizinisches Problem interpretiert wurde. Dabei war ich einfach nur einen Moment lang traurig.
Ich konnte hören, wie Mutter draußen auf dem Gang eine Oberschwester anbrüllte und ein Krankenpfleger ihr und Vater den Zutritt zum Kreißsaal verwehrte. Wenn Mutter sich etwas geschickter angestellt hätte und nicht mal wieder derart ausgetickt wäre, hätte sie durchaus neben mir sitzen können. Ich war erleichtert, sie beide los zu sein, aber ich würde ihnen noch früh genug unter die Augen treten müssen. Am liebsten wäre es mir gewesen, die Schwester hätte Mutter eine Spritze ins Fleisch gejagt — ich war diejenige, die mit Schreien dran war.
Dann ging es richtig zur Sache: helle Lampen, grüne Kittel und Edelstahlinstrumente, mit denen Dinge angestellt wurden, auf die ich lieber nicht näher eingehen will. Ich musste an jene Nacht auf dem Dach der Disco denken, an den Regen und an die österreichischen Jungs mit ihrem Rotwein. Nun, wenigstens sahen sie ganz gut aus - vielleicht hat dieses Kind es ja später mal leicht.
Und dann kam mein Sohn heraus geploppt, drall, rosa und mit Blut und Schmiere bedeckt. Das ist mein Werk — ich habe tatsächlich etwas Sinnvolles vollbracht. Gleich nach der Geburt fragte man mich, ob ich ihn in den Arm nehmen wollte, und in diesem Moment blendete ich die Wirkung der Medikamente, den Irrsinn der Überraschung, die ich meinen Eltern bereitet hatte, das Geschrei meiner Mutter und die Raumfahrttechnologie der Entbindungsstation aus und dachte daran, was aus diesem Kind werden würde, dass es keine Chance hätte, wenn ich seine Mutter wäre oder wenn meine Eltern es erziehen würden oder ... ach, ich hör lieber auf. Dieses Kind konnte unmöglich bei mir bleiben, und das wusste ich. Das Leben hatte mich bereits gelehrt, mir nichts zu wünschen, was ich nicht haben kann. Ich sagte nein, ich wolle das Baby nicht auf den Arm nehmen. Nicht mal für eine Sekunde. Ich wollte noch nicht mal Blickkontakt zu ihm aufnehmen, und so brachten sie ihn schnell weg, und damit war eine Möglichkeit, mein Leben zu leben, für immer verloren. Und ich? Ich bekam noch eine Aspirin und eine Schale Grießbrei und wurde am nächsten Tag entlassen. Jeremy musste wegen einer leichten Anämie noch dableiben.
Danach war das Leben zu Hause bestenfalls grauenvoll. Vater hatte keine Ahnung, was er sagen oder tun sollte. Mutter? Dem Himmel sei Dank, dass es Valium gibt. Ich tat so, als sei ich nach der Geburt viel zu erledigt, um zu sprechen, und Mutter eilte schlaf- und rastlos zwischen meinem Zimmer und dem Fernsehzimmer hin und her wie ein Vögelchen.
»Rom ist schuld. Da bin ich sicher. Was ist dort passiert?«
»Da ist nichts passiert, Mutter.«
»Das ist neun Monate her. Für wie dumm hältst du mich?«
Natürlich erzählte ich ihr
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