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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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fand ich Europa phantastisch. Graffitibeschmierte U-Bahnen wirkten fröhlich, die lahmen, alten Tiere, die damals überall herumhumpelten, verdarben mir nicht die Stimmung; rußbedeckte Gebäude erinnerten nicht an den drohenden Tod von Mutter Natur, wie gestrandet auf Gehsteigen geparkte Autos wirkten malerisch. Ein empfehlenswertes Erlebnis.
    Mit dieser heiteren Gelassenheit traf ich also um acht Uhr in einem großen, kantinenähnlichen Restaurant zum Abendessen ein. Die Bezeichnung »hausgemacht« war allerdings der blanke Hohn. Außerdem war ich die einzige Schülerin, die pünktlich kam. Mr. Bürden hatte miese Laune. Der Tisch, an dem er saß, war mit Grissini und Buttertellern beladen, die durch ein offenes Fenster daneben Wespen anlockten. Drei ältere Kellner rauchten und warfen uns finstere Blicke zu. Aus dem Fenster bückte ich auf einen Hinterhof mit lauter Fahrrädern, Wäsche und den allgegenwärtigen Reihen von schief und krumm geparkten Kleinwagen.
    »Ihr kleinen Kanaillen, ihr.« Mr. Bürden war bei seiner zweiten Flasche Chianti, und mir war klar, dass er auch die ohne weiteres leeren würde. Als ich mir ein Glas einschenkte, lachte er nur leise in sich hinein. Ein Ober, der ein Trinkgeld witterte, brachte uns Gnocchi in einer Soße, die wie die Champignoncremesuppe von Campbell's schmeckte. Sogleich packte mich wieder das Heimweh. Als Mr. Bürden merkte, dass ich schon wieder zu schniefen anfing, reichte er mir das Fläschchen mit den Beruhigungstabletten und sagte: »Aber geh vorsichtig damit um.« Ich nahm zwei. Außerdem gab er dem Ober Lire im Wert von zwanzig Dollar und bestellte noch etwas zu essen und Wein.
    In dem Wissen, dass ich nur noch fünf Tage von zu Hause weg war und die gesamten 120 Stunden in einem seligen Dämmerzustand verbringen konnte, saß ich gelassen und zufrieden da wie eine spanische Infantin. Überdies erfüllte mich der Umstand, dass ich mit einem Mann zu Abend aß, Rotwein inklusive, mit einem Gefühl der Erhabenheit und Reife. Für Mr. Bürden muss unser Essen das Gegenteil gewesen sein — der absolute Tiefpunkt seines Lebens. Er stocherte mit seiner Gabel in dem toten Essen herum wie ein Kind, das auf eine Nacktschnecke im Garten einsticht. Anschließend wurden uns zwei mit Sorbet gefüllte Orangen aufgetischt, und gleichzeitig kamen nach und nach die anderen Schüler hereingetröpfelt. Ihre überschwänglichen Entschuldigungen bestanden durch die Bank aus schamlosen und doch von Herzen kommenden Lügen.
    Die Attraktion des Restaurantbesuchs war nicht das Essen, sondern die Aussicht, dass wir hinterher in die Disco gehen durften. Das Wort Discothek war damals gerade frisch kreiert worden und hatte noch einen höchst erotischen Klang. Es verhieß Sex, Abenteuer und die Chance, mit Europäern herumzumachen, die unter Umständen vielleicht sogar so aussahen wie ABBA. Zum Glück war Mr. Bürden zu betrunken, um richtig auf uns aufzupassen. Er saß im Bus vorn und alberte mit Christy und Alain herum. Ich hatte schon ganz schön einen im Tee und fand mich ziemlich witzig. Langsam wurden die anderen auf mich aufmerksam, jedoch nicht, weil sie mich plötzlich cool fanden. Sie wollten mich lediglich ordentlich abfüllen - aber woher sollte ich das wissen? Aufmerksamkeit war für mich wie Ambrosia. Ich benahm mich immer idiotischer, und sie feuerten mich nur noch mehr an, vor allem die Jungs.
    Liz, wenn du dir ein bisschen Mühe gibst, kannst du bestimmt Hüstle tanzen.
    Und das tat ich, im Mittelgang des Busses.
    Liz, probier das hier mal. Wir haben's aus dem Restaurant mitgehen lassen.
    Es war eine Flasche Rotwein. Ich nahm ein paar Schlucke. Ich amüsierte mich königlich.
    Liz, ziehst du eigentlich nie deinen Pullover aus?
    Doch, das tat ich, und darunter kam das rotweiß karierte Levi's-Hemd zum Vorschein, das ich für topmodisch hielt.
    Die Disco war eine große Waschküche mit einer Glitzerkugel, sieben bunten Glühbirnen und dieser merkwürdigen Euromusik, die klingt wie normale Musik, nur absurderweise mit einer Blaskapelle im Hintergrund. Es war noch eine andere Jugendgruppe da, aus Osterreich. Wir machten uns miteinander bekannt und staunten über Enthüllungen wie die, dass es in Wien Kentucky Fried Chicken gibt und dass sie die Lire mit all diesen Nullen auch beknackt fanden. Und ich tanzte — und wie. Mich schaudert, wenn ich daran denke, wie das ausgesehen haben muss.
    Nach einer Stunde gingen ungefähr sieben von uns aufs Dach, um zu rauchen. Genauer gesagt

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