Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
Vom Netzwerk:
schließlich doch, was meiner Ansicht nach passiert sein musste, aber was konnten sie schon tun? Die Schule anrufen und eine Entschädigung oder Gerechtigkeit fordern — und damit verraten, dass sie von meiner Schwangerschaft gar. nichts gewusst hatten, und sich so möglicherweise ein ganzes Bataillon von Sozialarbeitern ins Haus holen, die ihre Eignung als Eltern in Frage stellten? Einer von Mutters zahlreichen Gemütszuständen war Paranoia. In diesem Fall wirkte sie sich zu meinem Vorteil aus. In den Monaten vor und den Tagen nach der Geburt spielte ich im Geiste alle Varianten durch, was ich mit dem Baby machen wollte, und stets sah Mutter dabei ziemlich schlecht aus. Eine Adoption schien mir die wenigsten Nachteile zu haben. Ich sagte: »Im Krankenhaus muss es doch ganze Schränke voll Adoptionsunterlagen geben. Ich werde dort anrufen und welche anfordern.«
    Mein Baby habe ich mir dann doch einmal angeschaut, im Kinderzimmer der Entbindungsstation. Der Kleine schlief gerade in seiner durchsichtigen Plastikbox, und er war wunderschön. Ich dachte an diese gut aussehenden Österreicher auf dem Dach. Sie haben bestimmt alle gute Gene. In der Hinsicht kann die Natur ziemlich trickreich sein.
    Es tat mir in der Seele weh, meinen Sohn wegzugeben, aber ich vertraute auf das staatliche Adoptionssystem und darauf, dass es ihm zu einer ebenso biederen Spießerfamilie verhelfen würde, wie die meine es war - oder ihn vielleicht vor so biederen Spießerfamilien wie der meinen beschützen würde. Ich wälzte meine Schuldgefühle auf die Bürokratie ab - was rückblickend dumm und kindisch war. Und das ist das Einzige, weshalb ich mir Vorwürfe mache. Nichts sonst.

~28~
    Nun, da Leslie und Jane gegangen waren, kehrte endlich halbwegs Ruhe ein. Leslie hatte zweifellos sofort zum Handy gegriffen und erfüllte nun den Äther mit Klatsch und Tratsch. Schon bald würde mein Telefon klingeln — Mutter.
    Jeremy wälzte sich herum, als habe er einen schlechten Traum. Dann öffneten sich seine Augen, und obwohl nur das Licht im Flur an war, wusste ich, dass er wieder sehen konnte.
    »Was ist denn, Jeremy?«
    »Farmer.«
    »Was ist damit?«
    »Ich hatte eine Vision.«
    »Du meinst einen Traum?«
    »Nein. Träume sind langweilig. Das war eine Vision. Ich hab dir doch gesagt, dass ich Visionen habe. Da waren diese Farmer draußen in der Prärie. Normalerweise bauten sie Weizen an oder so was, aber obwohl Frühling war, bestellten sie ihre Felder nicht. Sie standen mitten auf irgendwelchen Landstraßen, die bis zum Horizont reichten, es war Mittag, und sie schauten hoch zur Sonne, die von einem pechschwarzen Himmel schien.«
    »Warum taten sie das?«
    »Sie hofften, dort etwas zu sehen.«
    »Was?«
    »Jemanden, der ihnen sagt, was sie tun sollten. Ich glaube, sie waren überzeugt, dass die Welt in jenem Jahr untergehen würde — deshalb haben sie auch gar nicht erst die Saat ausgebracht. Aber sie waren nicht verrückt oder so. Sie nahmen es als gegeben hin, dass das Ende der Welt gekommen war, und wehrten sich nicht dagegen.«
    »Gab es in dieser Vision auch irgendwelche Farmersfrauen? Die würden die Sache vielleicht anders sehen.«
    »Die glaubten ebenfalls an den Weltuntergang. Sie standen auf ihren Veranden und warfen Einmachgläser mit Roten Beten, Bohnen und Tomaten in den Garten. Die Glasscherben glitzerten wie Münzen in der Sonne, und die Säfte versickerten im Boden, der ganz kalkig und grau war, und spendeten dem, was darin schlief — Würmern und Heuschreckenembryos — Nahrung.«
    »Okay, und haben die Farmer vom Himmel irgendwas erfahren?«
    »Ja.«
    »Und zwar?«
    »Ihnen wurde gesagt, dass die ganze Welt von nichts als Leid erfüllt ist und dass wir Menschen keine Ahnung haben, wofür wir bestimmt sind. Katastrophen sind unvermeidlich, seien sie nun durch uns selbst verursacht oder ein Akt Gottes. Deshalb sollten sie keine Angst haben — denn was auch geschieht, das Ende wird kommen.«
    »Und das war ein Trost für die Farmer?«
    »Ja. Außerdem erfuhren sie, dass ein Geschenk auf sie wartet. Bald würden sie ein Zeichen bekommen - was für eins, weiß ich nicht —, und dann würden sie dieses Geschenk erhalten.«
    Die Notlage der Farmer ließ mich frösteln. Sie erinnerte mich auf eine Weise, von der Jeremy nichts ahnte, an meine eigene Misere, aber ich ließ mir nichts anmerken. »Und wie siehst du das?«
    Jeremy entspannte sich wieder. »Ich wünschte, ich könnte sagen, dass an den Dingen, die ich sehe, nichts

Weitere Kostenlose Bücher