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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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einfach zu machen wie den Hunger oder den Wunsch zu urinieren oder die Sehnsucht nach einem Körper?

    Er machte den Mund auf und sagte:
    – Ich sehne mich nach meiner Frau.
    Eines der Mädchen, das noch nichts gesagt hatte, lächelte ihn voller Mitgefühl an, und das ermutigte ihn fortzufahren:
    – Ich sehne mich nach meiner Frau, kann es aber weder ihr noch sonstwem außer Ihnen sagen.
    – Warum? fragte unerwartet der Gruppenanalytiker, als sei er heimlich von einer langen Fahrt durch das eigene Eis zurückgekehrt. Seine Stimme öffnete so etwas wie einen angenehmen Raum vor ihm, in dem der Psychiater sich am liebsten niedergelegt hätte.
    – Ich weiß nicht, antwortete er schnell aus Furcht, die Empfänglichkeit, die er erreicht hatte, würde verschwinden und er sich vor acht gelangweilten oder feindlichen Gesichtern wiederfinden. Ich weiß es nicht oder weiß es, je nachdem, ich glaube, mich erschreckt die Liebe, die andere für mich empfinden und die ich für andere empfinde, ein wenig, und ich fürchte mich davor, das bis zum Ende, ganz und gar zu leben, mich den Dingen hinzugeben und um sie zu kämpfen, solange ich die Kraft dazu habe, und wenn die Kraft nachläßt, mehr Kraft aufzubringen, um den Kampf weiterzuführen.
    Und er sprach über die unendliche Liebe, die fast fünfzig Jahre lang seinen Großvater und seine Großmutter väterlicherseits verbunden hatte und wie deren Kinder und die ältesten Enkel immer mit den Füßen aufstampfen mußten, um auf ihr Eintreten in ein Zimmer aufmerksam zu machen, in dem die beiden sich allein befanden. Er sah sie wieder, wie sie bei den Familienabendessen Hand in Hand am Eßtisch saßen und wie der Großvater seine Frau streichelte und sie meine Alte nannte und in diese Anrede eine tiefe, warme und unzerstörbare Zärtlichkeit
legte. Er sprach über den Tod des Großvaters und den Mut, mit dem die Großmutter seine Krankheit, seine Agonie und seinen Tod aufrecht und trockenen Auges ertragen hatte und wie man ihr großes Leid unter dieser absoluten Ruhe ohne jede Weinerlichkeit, ohne irgendwelche Klagen bemerkte und wie sie aufrecht und erschüttert dem Sarg ihres Mannes zum Grab gefolgt war, mit höflichem Lächeln die Beileidsbezeugungen des Offiziers entgegengenommen hatte, der die Eskorte des Militärbegräbnisses des Ehemannes kommandierte, und wie sie, wieder zu Hause angekommen, die persönlichen Gegenstände des Vaters unter den Söhnen verteilt und sofort das Leben so organisiert hatte, daß alles so blieb, wie es, das wußten wir ebenso wie sie, der Großvater gewollt hätte, und bei den Mahlzeiten den Platz am Kopfende des Tisches einnahm und wir dies als etwas ganz Natürliches ansahen und es so blieb, bis sie achtzehn Jahre später selber starb und das Foto, das er ihr zur silbernen Hochzeit geschenkt hatte, mit in den Sarg nehmen wollte. Und er sprach über das, was der Priester während der Messe an ihrem Sarg gesagt hatte, und zwar, Wir haben eine Mutter verloren, und der Arzt hatte viel über diesen Satz nachgedacht, der über die Großmutter gesagt worden war, deren fehlende Zärtlichkeit und deren Härte ihn geärgert hatten, und er hatte am Ende zugegeben, daß es stimme und er in den dreißig Jahren seines Lebens dieser Frau nicht den Wert zugemessen habe, den sie tatsächlich besaß, und er sich wieder einmal bei der Einschätzung eines Menschen geirrt habe und es jetzt, wie immer, zu spät sei, um dies zu berichtigen.
    – Man kann die Vergangenheit nicht ins reine schreiben, aber man kann die Gegenwart und die Zukunft besser leben,
und Sie haben Schiß, deshalb hauen Sie ab, bemerkte das Mädchen, das gelächelt hatte.
    – Wenigstens solange Sie die Notwendigkeit verspüren, sich weiterhin zu strafen, setzte der Analytiker nach, der intensiv den linken Daumennagel studierte, an dem die vollständigen Werke von Melanie Klein als Mikrofilm kleben mußten.
    Der Psychiater lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und suchte in der Tasche nach der dritten Zigarette dieser Sitzung: Strafe ich mich tatsächlich auf diese Weise, überlegte er, und wenn dem so ist, warum tue ich das? Und im Namen welcher nebulösen, für mich unerreichbaren Sünde? Oder tue ich es einfach nur, weil ich zu sonst nichts fähig bin und dies meine ganz eigene Art ist, mich in der Welt zu fühlen, wie ein Alkoholiker trinken muß, um sich zu versichern, daß er existiert, oder ein Weiberheld vögeln muß, um sich zu versichern, daß er ein Mann ist? Und landen wir nicht

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