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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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großen Anstrengungen aus dem Brunnen heraus bis in die Landschaft mit den Kräutern hier draußen kommen, die nassen Kleider auswringen, aufbrechen: wie damals, als ich aus Afrika kam und nicht wußte, was ich machen sollte, und mich auf einem sehr langen Flur befand, in dem es keine Tür gab, und ich eine Tochter und eine schwangere Frau und eine immense Müdigkeit in den von zu vielen Buschpfaden durcheinandergeschüttelten Knochen hatte. Er sah in Gedanken das Grab von Zé do Telhado in Dala wieder und das Haus mit dem Grasdach von Senhor Gaspar inmitten der hohen Bäume, in denen ein riesiger zahmer Affe mit weißer Schnauze herumsprang, der mit einer Leine an einem Eisenpfosten festgebunden war, er sah den Tod des Gefreiten Pereira beim Brand des Unimogs wieder und die phantastischen Feuer beim Abbrennen der Felder die ganze Nacht hindurch: Seit sie mich nach Padua zu meiner ersten Kommunion mitgenommen haben, dachte der Arzt, bin ich schon ganz schön rumgekommen.
    – Entschuldigen Sie bitte das mit den Ängsten aus Pappe, sagte das Mädchen, das noch vor ein paar Augenblicken über ihn gelacht hatte. Ich weiß, daß es Ihnen beschissen geht.

    Der Psychiater strich kurz über ihren Arm, während der Gruppenanalytiker begann, sich zu erheben, und warf ihr einen Kalvarienseitenblick zu:
    – Meine Tochter, versicherte er ihr, du wirst noch heute mit mir im Paradies sein.

Als er allein in der Nacht der Rua Augusto Gil mit nicht gestartetem Motor und nicht eingeschaltetem Licht im Wagen saß, stützte der Psychiater die Hände auf das Lenkrad und begann zu weinen: Er tat alles Erdenkliche, um keinen Laut von sich zu geben, so daß seine Schultern zuckten wie die der Schauspielerinnen im Stummfilm, die die Korkenzieherlocken und die Tränen in der Umarmung eines bärtigen Großvaters verbergen: Scheiße Scheiße Scheiße Scheiße Scheiße, sagte er in seinem Inneren, weil ich in mir keine anderen Worte als diese fand, eine Art schwacher Protest gegen die kompakte Traurigkeit, die mich erfüllte. Ich fühlte mich sehr schutzlos und sehr allein und hatte keine Lust, jemanden anzurufen, denn (das wußte ich) es gab Überfahrten, die man nur allein machen konnte, ohne Hilfe, auch wenn man Gefahr lief, kopfüber in eines dieser schlaflosen Morgengrauen zu geraten, welche uns zu Pedro und Inês in den Sarkophagen von Alcobaça machen, die bis ans Ende der Welt steinern daliegen. Und ich erinnerte mich daran, wie mir eine Bekannte erzählt hatte, daß ihre Mutter sie oft zu Besuchen mitgenommen hatte, als sie noch ganz klein war, in einer Zeit, in der die Menschen miteinander auf Zehenspitzen übertriebener Höflichkeit verkehrten; und da trat sie in eines dieser steifen, von großen Uhren und Pianos mit Leuchtern bevölkerten Häuser, in denen die Musik sich zitternd zum Wind hin neigt, hörte die vom Damast der
Vorhänge gedämpften Klagen der Damen und die Seufzer der Toten auf den Bildern an der Wand und dachte: Wie traurig dieses Haus um drei Uhr nachmittags sein muß. So daß sie viele Jahre später Apothekenalkohol in die Blumenvasen goß, um ihn heimlich zu trinken und so einen ewigen Mittag zu erreichen.
    Die Nacht der Straßen und Plätze kam dem Psychiater an diesem Freitag so vor wie die Nächte seiner Kindheit, wenn er im Bett liegend aus dem Arbeitszimmer jene Opernduette hörte, die als erschreckender Streit zu ihm gelangten, der Vater-Tenor und die Mutter-Sopranstimme, die sich schreiend vor einem unheimlichen Orchesterklang stritten, den die Dunkelheit noch verstärkte, bis einer den anderen in der Schlinge eines lange gehaltenen C erhängte, auf das die schreckliche Stille großer Tragödien folgte: Jemand lag in einer Achtelnotenlache auf dem Teppich, von b-Molls dahingemordet, und schwarzgekleidete Totengräber würden bald schon mit einem Sarg die Treppe heraufkommen, der, mit zwei gekreuzten Dirigentenstäben als Kruzifix auf dem Deckel, dem Kasten eines Kontrabasses glich. Die Dienstmädchen mit gestärktem Häubchen und gestärkter Schürze stimmten in der Mundart der Beira im Eßzimmer den Jägerchor an. Der Priester tauchte, als Dom José verkleidet, aus einem spanischen Wirbel von Marientöchtern auf. Und der Schäferhund der Gerberei schickte sein Hundvon-Baskerville-Geheul in einer Neufassung von Saint-Saëns ins Land.
    In der Nacht von Lissabon hat man das Gefühl, in einem Roman von Eugène Sue zu leben, mit einer Seite für den Tejo, in dem die Rua Barão de Sabrosa das verschossene

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