Elefantengedaechtnis

ein würdiger Herr mit Aktentasche trieb, neben dem Brunnen sitzend, mit dem Missionarsgeist von jemandem, der Erstkommunionskindern an den Türen der Kirchen Heiligengebetsbildchen aufdrängt, mit pornographischen Fotos Handel.
    Als er an der Avenida Duque de Loulé ankam, ließen ihn die Leuchtreklamen der chinesischen Restaurants, kulinarische Keilschriftbuchstaben für Landeier, unentschlossen zögern, von den exotischen Namen der Gerichte in Versuchung geführt, aber er dachte sofort daran, daß er sich, wenn er ohne Begleitung zu Abend aß, noch einsamer fühlen, er ohne Schirmchen auf dem Drahtseil seines Unglücks vor einem gleichgültigen Publikum schwanken würde, so daß er den Wagen etwas unterhalb, in der Nähe einer Telefonzelle abstellte, die genauso aussah wie die auf dem Bild voller lächelnder Körper, das er in der Woche zuvor in einer Zeitschrift gesehen hatte mit der
Unterschrift: Neuer Weltrekord: Sechsunddreißig englische Studenten in einer Telefonzelle. Der auf der Gabel ruhende Hörer weckte in ihm den Wunsch, seine Frau anzurufen (Ich liebe dich, ich habe nicht aufgehört, dich zu lieben, laß uns gemeinsam um uns kämpfen), und daher machte er sich fast im Galopp davon und stolperte die Stufen zum Noite e Dia, zur Snackbar im Keller hinunter, kam dem Portier zuvor, der seinem Lehrer in der vierten Klasse ähnlich sah und gerade die Eingangstür aus Glas aufstoßen wollte.
    An den Futterkrippen des langen Tresens entstand so etwas wie eine Solidarität Sorte Letztes Abendmahl, die dem Psychiater half, innerlich auf den Beinen zu bleiben, als würden die Ellenbogen rechts und die Ellenbogen links von ihm wie Stützen wirken, welche die zersplitterten Knochen seiner Verzweiflung zusammenhielten und daran hinderten, sich auf dem Boden zu verteilen wie Mikadostäbe. Er setzte sich zwischen ein Jüngelchen, das vor der Zeit wie ein trauriger Bibliothekar gekleidet war, und ein Ehepaar in der Krise, das in stillem ehelichem Haß die Stacheln aufgestellt hatte und, den Blick starr auf den Horizont einer strittigen Scheidung gerichtet, wütend rauchte, er bestellte beim Kellner ein schnelles Beefsteak und ein Glas Wasser und beobachtete dann die ihm gegenübersitzenden Tischgenossen, zum größten Teil Mädchen, die sich in einem nahe gelegenen Nachtclub abwechselten und reglos über ihrem Kaffee saßen wie in Eucharistien versteinerte Priester. Ihre Finger mit riesigen, roten Nägeln hielten geschmuggelte amerikanische Zigaretten, mit deren Rauch sie rituell die Tassen beweihräucherten, und der Arzt amüsierte sich dabei, in ihren Gesichtern unter dem schlechten Make-up und in den falschen, von den Filmen im Eden-Kino gelernten
Gebärden, unter den Falten, die Kindheiten voller Entbehrungen für immer in Mund- und Augenwinkeln eingegraben haben, die unauslöschlichen Hieroglyphen der Armut zu entdecken. Als er noch ledig war, hatte er hin und wieder die Bars der Prostituierten am Rand des Bairro Alto in buckligen Gassen besucht, die dunkel waren wie entleerte Augenhöhlen, um ihnen zuzuhören, wie sie vor lauwarmem Bier und angesichts einer Zukunft naher Schiffbrüche ohne Überlebende rührende, tugendhafte Jugendjahre im Stil der Corin Tellado erfanden : Scheißkapitalismus, dachte er, nicht einmal diese Armen hast du verschont; auf daß wir sterben und das beschissene System lebt, noch mehr Weltkriege, mit denen du die Krisen deiner Agonie löst: Man senkt die Arbeitslosenquote auf Kosten von Millionen Opfern, man mischt die Karten neu und fängt das Spiel von neuem an, denn, wie der andere so schön gesagt hat, wichtig ist nicht, ob es Leute gibt, die Hunger haben, denn so oder so gibt es jede Menge, die was zu essen haben. Manchmal begleitete er sie im Taxi in die Zimmer ohne Aufzug, in denen sie lebten, und war entsetzt über die Möbel aus Kisten, über die Bilder in Rahmen aus Draht und die Koffer aus Pappe, die mit blauem Sternchenpapier gefüttert waren wie Briefumschläge: Diese Tanten, wunderte sich der Psychiater, bewahren sich ungebrochen den Geschmack und die Vorlieben von Dienstmädchen aus der Provinz, die sie wahrscheinlich einmal gewesen sind, trotz der Wimperntusche aus der Drogerie und Parfüms vom Typ Insektenkiller, mit denen sie sich verkleiden; in ihnen bleibt eine atavistische Authentizität erhalten, die mein Vorstellungsvermögen übersteigt, der ich zwischen der Seelenmesse am siebten Tag nach der Beerdigung und guten Manieren aufgezogen wurde, und wenn sie sich das