Elefantengedaechtnis
so vielen muskulösen und starken Wurzeln, daß nicht einmal ich sie jemals werde abschneiden können; und wenn ich es schaffe, meine Feigheit, meinen Egoismus, diese Schlammscheiße zu überwinden, die mich daran hindert, dir zu geben und mich zu geben, wenn ich das schaffe, wenn ich das wirklich schaffe, dann komme ich zurück.
Die Blonde und einer der Ausländer gingen Hand in Hand hinaus auf die Avenida Duque de Loulé, während der andere nun seinerseits von einer kleinen, mageren Brünetten belagert wurde, die wie eine Essigfliege aussah und sich in ausholenden Commedia-dell’arte-Gesten ausdrückte. Das verfeindete Ehepaar zog sich grollschnaubend zurück; sie bewegten sich vorsichtig wie Prozessionstragegestelle, damit auch nicht ein Tropfen ihrer beider Wut verschüttet wurde. Die Mutter (oder Ehefrau?) des Bibliothekarsjünglings bat um die Rechnung.
Die Kellner unterhielten sich neben der Kaffeemaschine mit dem Koch. Wer zuletzt geht, macht das Licht aus, dachte der Arzt und erinnerte sich an seine kindliche Angst vor der Dunkelheit. Wenn ich nicht bald in die Hufe komme, bin ich am Arsch: Dann ist keiner mehr hier, nur noch ich.
Jede Nacht etwa um diese Zeit fuhr der Psychiater diese Strecke auf der Autobahn und der Uferstraße, um in die kleine möbellose Wohnung zurückzukehren, in der ihn niemand erwartete und die hoch oben auf dem Monte Estoril in einem für seine Schüchternheit zu luxuriösen Gebäude lag. Der Schreibtisch des Portiers in dem riesigen Atrium aus Glas und Metall mit einem Teich, Pflanzen wie im Botanischen Garten und unterschiedlichen Ebenen aus Stein besaß ein Schaltbrett mit Knöpfen, durch das eine Stimme vom Jüngsten Gericht körperlos hallend in den verschiedenen Stockwerken ihre häuslichen Gebote mit dem göttlichen Klang eines kaputten Eimers oder einer leeren Garage verkündete. Senhor Ferreira, der Besitzer dieser ungeheuren Stimme, wohnte in den unteren Bereichen des Gebäudes, von einer Tür im Banktresorstil geschützt, die der Architekt in diesem Szenarium eines prätentiösen Bunkers für angemessen gehalten haben mußte: Wahrscheinlich war er es gewesen, der diesen unvergeßlichen Windhund im Möbelladen gemalt oder den phantasievollen Aluminiumlüster entworfen hatte: Diese drei bemerkenswerten Elukubrationen besaßen einen gemeinsamen genialen Funken. Nicht weniger bemerkenswert war im übrigen das Wohnzimmer von Senhor Ferreira, das der Arzt hin und wieder für dringende Telefongespräche nutzte und wo es unter anderen weniger wichtigen Wundern (ein portugiesische Gitarre
spielender Coimbra-Student aus Porzellan, eine Büste von Papst Pius XII. mit geschminkten Augen, einen Esel aus Bakelit mit Plastikblumen in den Körben) einen großen Wandteppich gab, der ein Tigerpaar mit der gutmütigen Miene der Kühe auf den Käsedreiecken darstellte, die angeekelt wie Vegetarier eine Gazelle zu Mittag verspeisten, die einem mageren Karnickel ähnelte, während ein Horizont mit Korkeichen in matter Hoffnung auf ein Wunder wartete. Der Arzt stand immer, das Gespräch vergessend, mit dem Hörer in der Hand da und schaute sich verblüfft dieses abrakadabramäßige Werk an. Die Frau von Senhor Ferreira, die für ihn jene instinktive Sympathie hegte, die Waisen erwecken, kam dann immer, die Hände an der Schürze abtrocknend, aus der Küche:
– Die Tigerchen haben es Ihnen ja wirklich angetan, Herr Doktor.
Und stellte sich mit schräg gelegtem Kopf neben den Psychiater und betrachtete stolz ihre Tiere, bis Senhor Ferreira seinerseits erschien und mit der berühmten göttlichen Stimme den Satz aussprach, der für ihn den Höhepunkt künstlerischer Bewunderung zusammenfaßte:
– Diese Gauner sehen aus, als würden sie reden.
Und tatsächlich erwartete der Arzt jeden Augenblick, daß eines der Tiere seine dunklen Glasperlenaugen auf ihn richten und mit einem klagenden Seufzer Ach, mein Gott murmeln würde.
Während er den Wagen über die Autobahn lenkte, dabei auf die Schattenmassen, die die Scheinwerfer abwechselnd freilegten und dann verschlangen, aus der Dunkelheit einer tragischen Unwirklichkeit gerissene Bäume, ineinander verschlungene Büsche, das kurvige, zitternde Band des Straßenbelags
achtete, dachte der Psychiater, daß Estoril und er, den Wandteppich von Senhor Ferreira einmal ausgenommen, nichts hatten, was sie einander näherbrachte: Er war in einer Klinik für Arme geboren worden und in einem Armeleuteviertel ohne den Luxus von Villen mit Swimmingpool
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