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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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und internationalen Hotels aufgewachsen und hatte dort immer gewohnt, bis er vor ein paar Monaten das Haus verlassen hatte. Das Bierlokal Estrela Brilhante war seine Pastelaria Garrett, statt Kuchen gab es gebratenes Hühnerklein und gekochte Lupinenkerne, und anstelle der Damen vom Roten Kreuz Bus- oder Straßenbahnfahrer, die, wenn sie ihre Schirmmützen abnahmen, um die Stirn mit dem Taschentuch abzuwischen, plötzlich nackt wirkten. Im Stockwerk unter seinen Eltern wohnte Maria Feijoca, die Besitzerin der Kohlenhandlung, und im Haus nebenan Dona Maria José, die mit obskurer Schmuggelware Handel trieb. Er kannte die Ladenbesitzer mit Namen und die Nachbarn bei ihren Spitznamen, und seine Großmütter begrüßten die Marktfrauen mit Burgdamengesten. Florentino, der legendäre, ständig betrunkene Dienstmann, dessen zerrissene Anzüge sich um den Körper bewegten wie lose Federn, verkündete jedesmal, wenn er ihn sah, mit einer vom Rotwein verzehnfachten Vertrautheit, Ihr Väterchen ist ein enger Freund von mir, und winkte ihm aus der Taverne an der Straße zum Friedhof zu, wo das Schild NÄCHSTES MAL ERWARTE ICH EUCH HIER dem Tod die untergeordnete Bedeutung eines Vorwands verlieh: Das Bestattungsinstitut Martelo (»Warum wollen Sie unbedingt leben, wo Sie doch für fünfhundert Escudos ein schönes Begräbnis haben können?«) zeigte Särge und direkt darüber Händchen aus Wachs strategisch plaziert, genau auf halbem Weg zwischen Grab und Glas. Der Arzt empfand eine
riesige Zärtlichkeit für das Benfica seiner Kindheit, das durch die Gier der Bauunternehmer in ein Póvoa de Santo Adrião verwandelt worden war, jene Zärtlichkeit, die man einem alten, von vielen Narben entstellten Freund entgegenbringt, in dessen Gesicht man vergebens die vertrauten Züge von einst sucht. Wenn sie das Haus von Pires abreißen, sagte er und dachte dabei an das riesige alte Gebäude gegenüber dem Haus seiner Großeltern, an welchem magnetischen Norden orientiere ich mich dann, der ich nur so wenige Bezugspunkte habe und so große Schwierigkeiten, mir neue zu machen? Und er stellte sich vor, wie er ziellos durch die Stadt trieb, ohne Kompaß in einem Labyrinth aus Gassen verloren, denn Estoril würde für ihn immer eine fremde Insel fern der Geräusche und der Düfte seines Geburtswaldes bleiben, an die er sich nie würde gewöhnen können. Von der Wohnung aus sah man Lissabon, und wenn er auf den ausufernden Fleck der Stadt schaute, empfand er sie zugleich fern und nah, schmerzlich fern und nah wie seine Töchter, seine Frau und den Dachboden mit den schrägen Wänden, in dem sie lebten (Pátio das Cantigas, Hof der Lieder nannte sie ihn), voller Stiche, Bücher und herumliegender Kinderspielsachen.
    Er kam in Caxias heraus, wo die Wellen in vertikalen Reihen über die Mauer sprangen. Es schien kein Mond, und der Fluß vermählte sich im schwarzen Raum links von ihm mit dem Meer: Die roten Lichter des Mónaco ähnelten hinter den feuchten Fensterscheiben des Restaurants anämischen Fanalen im Sturm: Hier habe ich zu Abend gegessen, als ich geheiratet habe, dachte der Psychiater, und es hat nie wieder ein so wunderbares Abendessen gegeben: Sogar aus dem Braten stieg ein Geschmack nach Überraschung auf; als wir den Kaffee getrunken
haben, wurde mir klar, daß es zum erstenmal nicht mehr notwendig war, dich nach Hause zu bringen, und das ließ eine phantastische Freude in meinen Eingeweiden losbrechen, als hätte von diesem Augenblick an mein Leben als Mann begonnen, das mir trotz des drohenden Krieges voller Kraft und Hoffnung offenstand. Er erinnerte sich an den Wagen, den seine Großmutter ihm für die Hochzeitsreise geliehen hatte und der der letzte Wagen ihres Mannes gewesen war, an dessen langsames Wiegenschaukeln, er erinnerte sich an das merkwürdige Gefühl des Eherings am Finger, an den Anzug, den er an diesem Nachmittag das erste Mal angehabt hatte, und seine lächerliche Vorsicht mit den Bügelfalten. Ich liebe dich, wiederholte er laut, während er sich an das Lenkrad klammerte wie an ein zerbrochenes Ruder, ich liebe dich ich liebe dich ich liebe dich ich liebe dich ich liebe dich, ich liebe deinen Körper, deine Beine, deine Hände, deine rührenden Augen eines Tieres: Und er war wie ein Blinder, der weiter mit dem Menschen redet, der auf Zehenspitzen aus dem Zimmer gegangen war, ein Blinder, der einen leeren Stuhl anschreit, mit den Händen die Luft erfühlt, mit den Nasenlöchern einen verfliegenden Duft abtastet.

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