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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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Wenn ich jetzt nach Hause gehe, bin ich geliefert, sagte er, ich bin nicht in der Lage, dem Spiegel im Badezimmer entgegenzutreten und all dieser Stille, die mich erwartet, dem Bett, das sich über sich selbst geschlossen hat wie eine klebrige Miesmuschel. Und er erinnerte sich an die Flasche mit Branntwein in der Küche und daß er sich ja immer noch, ein Glas in der Hand, auf die Holzbank auf dem Balkon setzen konnte, zuschauen konnte, wie die Gebäude zum Strand hinunterkullerten, ihre Balkons, ihre Bäume, ihre gequälten Gärten mitrissen; manchmal schlief er im Freien ein,
den Kopf an den Rolladen gelehnt, während ein Schiff, das die Mündung verließ, hinter seinen müden Augenlidern reiste, und fand so eine Art Ruhe, bis ihn ein Anzeichen von lila, mit Spatzen vermischter Helligkeit weckte und zwang, zur Matratze zu stolpern wie ein schlafwandelndes Kind zu seinem nächtlichen Pipi. Und an der Bank auf dem Balkon klebten hartgewordene Vogelexkremente, die er mit den Nägeln abriß und die nach dem Kreidepulver der Kindheit schmeckten, das er heimlich während der kurzen Abwesenheiten der Köchin, der absoluten Diktatorin dieses Fürstentums der Töpfe, verschlungen hatte.
    Es gab wenige Wagen auf der Strecke, und der Psychiater fuhr langsam auf der rechten Spur, dicht am Bürgersteig, seit eines Morgens in der vorangegangenen Woche eine verwirrte Möwe mit einem weichen Federgeräusch gegen die Windschutzscheibe geprallt war und der Arzt gesehen hatte, wie sie, bereits hinter ihm, auf dem Asphalt mit der Agonie ihrer Flügel schlug. Das Auto, das ihm folgte, hatte neben dem Tier gehalten, und er bekam, während er sich entfernte, im Rückspiegel mit, daß der Fahrer ausstieg und sich zu dem deutlichen weißen Häufchen begab, das mit der wachsenden Entfernung immer kleiner wurde. Eine Welle von Schuldgefühlen und Scham, die er nicht erklären konnte (Schuldgefühle weswegen? Scham weshalb?), stieg ihm mit einem Rückfluß von Sodbrennen vom Magen in den Mund, und ihm kam ohne sichtlichen Grund ein gestrenger Satz Tschechows in den Sinn: »den Menschen biete Menschen an, biete dich nicht dir selbst an«; darauf fiel ihm Die Möwe ein und der tiefe Eindruck, den die Lektüre des Stückes auf ihn gemacht hatte, die scheinbar sanften Personen, die in einem scheinbar sanften, amüsanten
Szenarium umherirrten (Tschechow hielt sich ernsthaft für einen Autor von Komödien), das aber voll von einer schrecklichen Lebensangst war, die später vielleicht allein Fitzgerald wiederfand und die hin und wieder aus dem Saxophon Charlie Parkers erklingt, der uns unvermittelt in einem verzweifelten Solo kreuzigt, das alle Unschuld und alles Leid der Welt im durchdringenden Atem einer Note zusammenfaßt. Da dachte der Arzt: Diese Möwe bin ich, und der vor dem Ich flieht, bin ich auch. Und mir fehlt der nötige Mut, um zurückzukehren und mir selber zu helfen.
    Auf der unvermittelt hinunter nach Estoril abfallenden Straße, als er an der grauen Masse des alten Forts mit seinem riesigen, scheußlichen Metallfisch vorbeikam, der über den tanzenden Paaren hing (Wie lange bin ich nicht mehr dort gewesen?), sah der Psychiater in Gedanken wieder die leere Wohnung vor sich, den Spiegel im Badezimmer und die Flasche in der Küche neben dem Metallkrug, die einzigen Rettungsringe in der traurigen Stille der Wohnung. Draußen, am Eingang des Gebäudes, raschelten die trockenen Blätter der Eukalyptusbäume, vom hohen Wind behaucht, mit dem Geräusch aufeinanderstoßender künstlicher Zähne. Die Wagen der Mieter, fast alle luxuriös und groß, hatten die Nase gegen die Wand gelehnt wie schmollende Kinder. In seinem Briefkasten gab es, von dem einen oder anderen Prospekt und dem wöchentlichen Propagandablatt der CDS einmal abgesehen, das er eilig, ohne es zu lesen, in den Briefkasten der Vermieter steckte, wobei er emphatisch erklärte, Dem Kaiser, was des Kaisers ist, niemals einen Brief für ihn. Er kam sich wie der Oberst von García Márquez vor, der, von einer unheilbaren Einsamkeit und von den phosphoreszierenden Pilzen der Eingeweide
bewohnt, auf Nachrichten wartete, die niemals kommen würden, und langsam in diesem nutzlosen Warten verfaulte, das von Maiskörnern vager Versprechungen genährt wurde. Und so bog er, als die Ampel grün wurde, in einer unvermittelten Sinnesänderung rechts ab und fuhr zum Casino.

Am oberen Ende einer Art Parque Eduardo VII im Kleinformat, der von hämophilischen Palmen gesäumt war, deren Zweige

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