Elegie - Fluch der Götter
geflochtenes Seil? Vielleicht war es das gewesen, vielleicht aber auch nur der Wind im hohen Gras. Wenigstens konnte er jetzt den Heerführer beruhigen. Bald würde die Schlacht beginnen, und dann hatte es keinen Sinn mehr, sich mit den Einzelheiten von Haomanes verfluchter Prophezeiung herumzuärgern.
Speros von Haimhault ritt grinsend nach Finsterflucht zurück und vertrieb den Geruch von Erdbeeren, die auf dem sonnengewärmten Boden reiften, aus seinem Gedächtnis.
»Geh!«, zischte Thulu zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Geh, Junge, geh !«
Auf Händen und Knien krabbelte Dani so schnell wie möglich voran und achtete nicht auf die Felsen, die ihm die Haut ritzten und zerrissen, denn er war sich der stampfenden Schritte und bellenden Stimmen der Fjeltrolle, die sie verfolgten, nur zu deutlich bewusst.
Die Reise durch die Vesdarlig-Passage in tiefer Dunkelheit war ein gefährliches Unternehmen, aber sie hatten sich ein System geschaffen. Er hatte die eine Wand genommen und Onkel Thulu die andere. Solange jeder mit einer Hand seine Wand berührte, konnte er den anderen vor Spalten und Abzweigungen warnen, und so waren sie in der Lage, ein Abirren in Seitentunnels zu vermeiden.
Auch wenn die Dunkelheit ihnen unheilvoll erschien, hatte sie ihnen doch das Leben gerettet oder es zumindest verlängert. Da sich ihre Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, konnten sie die Fackeln der herankommenden Fjel so rechtzeitig sehen, dass es ihnen möglich war, tief in einem der Seitentunnel, die sie bisher gemieden hatten, Unterschlupf zu finden.
Doch die Fjel hatten ihren Geruch aufgenommen, und ihnen war nichts anderes übrig geblieben, als immer weiter zu fliehen, vor den Fackeln und den heulenden Fjel davonzulaufen, sich immer tiefer in das Gewirr hineinzuwagen, zunächst gebeugt, dann beinahe kriechend, als der Tunnel so eng wurde, dass kein Fjel ihn mehr passieren konnte.
Das war das Geschenk, das ihnen das Schicksal machte, und sie nahmen es dankbar an.
Es erschien Dani, als würde er stundenlang blind durch die Erde kriechen. Entsetzen befeuerte seine Flucht. Wahllos stürzte er sich mit gesenktem Kopf und eingezogenen Schultern in abzweigende Tunnel, schützte das Tonfläschchen mit seiner Hand und wusste nie, wann er mit dem Kopf gegen die Wand prallen würde. Manchmal passierte es. Es pochte in seinem Kopf, die Knie taten ihm weh, und seine Hände waren klebrig von Blut.
Und dann herrschte Stille, durchbrochen nur vom Klang ihres rasselnden Atems. Es gab keinerlei Anzeichen mehr für eine Verfolgung. Sie befanden sich in einer so absoluten Finsternis, dass es ihnen schien, als wäre jedes Licht auf der Welt – jede Kerze, jeder Funke, jeder ferne, leuchtende Stern – ausgelöscht worden. Dani wurde langsamer und hielt schließlich an. Wie ein gejagtes Tier kauerte er sich in seinen Bau.
»Hörst du noch etwas?«, flüsterte er.
»Nein«, flüsterte sein Onkel zurück. »Ich glaube, sie haben unsere Spur verloren.«
»Und ich glaube, wir haben unsere eigene Spur verloren.« Diese Worte klangen nicht so beängstigend, wie sie eigentlich hätten sein sollen. Dani wand sich hin und her und brachte sich schließlich in eine sitzende Lage. Wenn er die Knie eng an die Brust zog und sich ganz klein machte, konnte er sich mit dem Rücken gegen die Tunnelwand lehnen. Nur eine kurze Verschnaufpause, dachte er. Es war eine Erleichterung, das Körpergewicht nicht mehr auf den zerschrammten Knien spüren zu müssen. Die alles einhüllende Schwärze war beruhigend, warm und vertraut. Warum auch nicht? Sterben war schließlich wie Geborenwerden, so hieß es im Lied des Seins. Im Mutterleib herrschte ebenfalls vollkommene Schwärze, auch wenn Dani sich daran nicht erinnern konnte.
Er erinnerte sich an seine Mutter, die gestorben war, als er nicht einmal zwei Jahre alt gewesen war. Er erinnerte sich an warme, weiche und dunkle Haut und den süßen Geruch von Milch. Dani lächelte in der Dunkelheit. Mutters Milch, der Duft der Liebe . Sie hatte ihn sehr geliebt. Er erinnerte sich daran, dass ihm das sein Vater gesagt hatte und später, als auch sein Vater nicht mehr da gewesen war, Warabi und der alte Ngurra, die ihn aufgezogen hatten. Und er erinnerte sich an den Geruch der Milch seiner Mutter, an warme Haut, an den scharfen Duft eines Büschels aus gut durchgekautem Gamal.
Die Schwärze war wirklich nicht so schlimm.
»Riechst du das, Junge?«, fragte Onkel Thulu träumerisch. »Das ist wie
Weitere Kostenlose Bücher