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Elegie - Fluch der Götter

Elegie - Fluch der Götter

Titel: Elegie - Fluch der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
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der Duft von Baari-Holz, frisch entrindet und feucht vom Morgentau. Dem kommt nichts gleich, oder?« Er lachte leise. »Ich muss etwa in deinem Alter gewesen sein, als ich meinen ersten Grabstock geschnitten habe. ›Lerne den Adern der Erde zu folgen‹, hat der alte Ngurra mir immer gesagt.›Der Träger wird deine Fähigkeiten brauchen.‹« Wieder lachte er sanft. »Sogar die Weisen irren manchmal.«
    Ein leises Gefühl der Beunruhigung beschlich Dani. »Baari-Holz? «

    »So sauber entrindet wie eine Flöte, und so süß wie die Morgendämmerung. « Onkel Thulu kroch zu ihm und lehnte sich neben Dani gegen die Wand. Gesellig rieben sie die Schultern in der Dunkelheit aneinander. »Wir werden gemeinsam in das Wäldchen gehen, und dann wirst du es sehen.« Er atmete tief ein und gähnte dann. »Du kannst es jetzt schon fast sehen, wenn du es nur versuchst.«
    Es war falsch, alles falsch. Es gab keinen Duft nach Baari-Holz in den Tunneln, sondern nur den nach Muttermilch und wüstenwarmer Haut, und auch das war falsch, weil seine Mutter schon lange tot war und sein Vater auch, und es gab hier nichts anderes als Felsen und Finsternis.
    »Onkel.« Dani packte die unbewegliche Schulter seines Onkels. »Irgendetwas stimmt hier nicht. Wir müssen weitergehen. Bitte, Onkel!«
    »Wohin denn, mein Junge?«, fragte Thulu friedlich und schläfrig. »Dorthin zurück, wo die Fjel auf uns warten? Dieser Weg ist uns versperrt. Weiter nach vorn, damit wir in der Dunkelheit verhungern? Es gibt keinen Weg hinaus. Es ist besser, wenn wir uns ausruhen und träumen.«
    » Nein .« Dani biss die Zähne zusammen, wischte sich das Blut von den klebrigen Händen, tastete nach der kleinen Tonflasche und versuchte den Korken zu lockern. Er saß sehr fest; dafür hatte Dani gesorgt, nachdem sein Sturz auf der Ebene ihn gelöst hatte. Seine Handflächen brannten, seine Finger fühlten sich dick und unbeholfen an, und es war schwer, den Korken zu packen. Einen Augenblick lang fragte er sich, warum er sich nicht ausruhen sollte. Onkel Thulu hat recht, wir sind verloren, also ist es das Beste, wenn wir hier Pause machen und träumen.
    Dann gab der Korken nach, und der Geruch des klaren, sauberen und mächtigen Wassers stieg auf, gesättigt von Mineralien, beinahe wie ein Gewicht auf Danis Zunge, und er zerriss die Schleier, die seinen Geist umwölkten. Mit schwerem und gesenktem Kopf holte Dani tief Luft, kostete das pulsierende Leben und begriff erneut, wie wertvoll und gefährdet es hieruntenin den Eingeweiden der Erde war.
    »Hier.« Er streckte den Arm blindlings in die Finsternis aus und
hielt die Flasche dorthin, wo er die Nase seines Onkels vermutete. »Atme es ein, Onkel. Atme tief ein.«
    Thulu tat es und zitterte, als würde er aus einem Traum aufwachen. »Dani?«, murmelte er. »Dani, Junge?«
    »Ich bin hier, Onkel.« Dani zog die Flasche wieder zurück, tastete nach der Öffnung und drückte den Korken darauf. Er schlug mit dem Ballen seiner verwundeten Hand dagegen und unterdrückte einen Aufschrei. Überall um ihn herum war Schwärze, und darin lag nun kein Trost mehr. »Es ist Zeit.«
    »Zeit?«
    »Zeit, den Adern der Erde zu folgen«, sagte Dani sanft. Er tastete nach Thulus Arm und drückte ihn. »Wir befinden uns unter den Bergen, Onkel. Zumindest glaube ich das. Du hast recht, wir können nicht zurückkehren, aber wir können weitergehen. Irgendwo müssen diese Tunnel schließlich hinführen, und irgendwo gibt es einen Fluss —den Gorgantus.«
    »Ja.« In der Schwärze klang Thulus Stimme gedämpft; möglicherweise hielt er die Hände vor das Gesicht. »Vielleicht. Ach, Dani. Es ist schwer, so schwer, lebendig in der Erde begraben zu sein. Ich wünschte, ich hätte meinen Grabstock dabei, damit ich den Weg spüren kann. Dann vielleicht …«
    »Den brauchst du nicht.« Unter seinen Fingerspitzen spürte Dani, wie sich die Sehnen am Arm seines Onkels bewegten und sein Blut stetig pulsierte. »Bitte, Onkel! Du kannst es, das weiß ich. Du hast es dein ganzes Leben lang geübt. Führe uns.«
    Eine Zeit lang — eine Unendlichkeit lang — gab es nichts als Schweigen. Doch dann erklang schwach und abgerissen ein Lied ohne Melodie. Es stieg aus Thulus Bauch auf und rasselte tief in seiner Lunge. In den schwarzen Eingeweiden der Erde sang Thulu von den Yarru-yami vom Wasser. Er schloss die blind gewordenen Augen und spürte den Adern der Erde nach; er sang das Lied ihres Laufes durch das steinerne Fleisch des Weltengottes

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