Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elegie - Fluch der Götter

Elegie - Fluch der Götter

Titel: Elegie - Fluch der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
Vom Netzwerk:
Karmesinrot in der Mitte jedes gezackten, pfeilförmigen Blattes, während die Ränder noch dunkelgrün waren.
    Cerelinde berührte sie und fuhr mit den Fingerspitzen über die glänzenden Blätter und die raue, knorrige Rinde. »In diesem Kampf liegt so viel Schmerz«, wunderte sie sich. »Sogar ihre Wurzeln ächzen unter der Anstrengung. Dennoch passen sie sich an und halten aus. Es sind uralte Bäume.« Sie sah Tanaros an. »Wer hat ihnen das angetan? Hat Fürst Satoris sie in seinem Zorn verflucht?«
    »Nein, Hohe Frau.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist sein Blut, welches das Land im Tal von Gorgantum verändert hat – das Blut, das aus seiner nie verheilenden Wunde fließt. Seit Tausenden und Abertausenden von Jahren sickert es in den Boden.«
    »Das Blut eines Schöpfers«, murmelte sie.
    »Ja.« Er beobachtete sie und verspürte einen Schmerz in der Herzgegend. In dem gedämpften, blutdurchtränkten Licht unter den Buchenwipfeln leuchtete die Hohe Frau der Ellylon wie ein Edelstein. Wie fein waren doch Haomanes Kinder geformt! Kein Wunder, dass Haomane sie so sehr liebte und sich bei ihrer Schöpfung so viel Mühe gegeben hatte. »Kommt hier entlang.«
    Sie blieb kurz stehen, als sie den Rabenhorst betraten. Hunderte großer Nester schmückten die knorrigen Bäume. Cerelinde nahm diesen Anblick schweigend in sich auf. Der Wald war lebendig vor lauter Raben, die eifrig mit ihren schmutzigen Nestern beschäftigt
waren, über die Zweige hüpften und mit hellen, wachsamen Augen auf die Besucher niederblickten. Als sie die kleine Lichtung und den Tisch sah, der sie erwartete, drehte sich Cerelinde zu Tanaros um. »Ist das Euer Werk?«
    »Ja.« Tanaros lächelte. »Leistet Ihr mir bei einem Glas Wein Gesellschaft, Hohe Frau?«
    Wieder färbte warmes Erröten ihre Wangen. »Gern.«
    Der Tisch war mit einem blendend weißen Tischtuch bedeckt, auf dem ein einfaches Weinservice stand: ein Tonkrug und zwei elegante Kelche. Das war Zwergenwerk, was deutlich an der schmucklosen Anmut zu erkennen war, die ihre Arbeit auszeichnete. Wie es den Weg nach Finsterflucht gefunden hatte, wusste Tanaros nicht. Unter dem funkelnden Licht des Tales funkelten auch Tisch und Gedeck voll eigener Schönheit. Und neben dem Tisch stand stolz und aufrecht und in einfacher schwarzer Livree Speros, der auf Geheiß des Heerführers diese Vorkehrungen getroffen hatte.
    »Speros von Haimhault«, sagte Tanaros. »Das ist die Hohe Frau Cerelinde.«
    »Hohe Frau.« Speros flüsterte den Titel und verneigte sich tief. Als er sich wieder aufrichtete, waren seine Augen mit Tränen gefüllt. In der Wüste hatte er sein Verlangen betont, sie einmal zu sehen. Dieser Augenblick war die Erfüllung seines Wunsches, und nun sehnte sich sein Herz schmerzvoll nach der Schönheit und Feinheit, die Arahilas Kinder nie besitzen würden. »Darf ich Euch ein Glas Wein einschenken?«
    »Bitte.« Cerelinde lächelte ihn an und nahm Platz. Die Mørkhar-Fjel zerstreuten sich in die vier Himmelsrichtungen der Lichtung, krallten sich in den Boden und nahmen eine wachsame Haltung ein. »Vielen Dank, Speros von Haimhault.«
    »Gern geschehen.« Seine Hand zitterte, als er ihren Becher mit rotem vedasianischem Wein füllte. Der Ausguss des Kruges schlug gegen ihren Kelch. Mit sichtlicher Mühe machte er sich daran, auch dem Heerführer einzuschenken. »Sehr gern geschehen, Hohe Frau.«
    Tanaros saß Cerelinde gegenüber und erkannte, weswegen der Mittländer so zitterte. Er bedauerte den Jungen, denn ein erfüllter
Wunsch war eine gefährliche Sache. Ah, ihr Schöpfer, diese Pracht! Es war ein Licht – ein Licht, das aus ihrem Innersten heraus strahlte. Es war Haomanes Liebe, die wie ein Kuss auf ihrer Stirn glänzte. Es war in jedem Teil von ihr, war eingewirkt in die Zartheit ihrer Knochen und in das hoch aufstrebende Gewebe ihres Fleisches. All das erhöhte ihre Umgebung und beschämte sie zugleich.
    Und sie freute sich darüber.
    In all seinen langen Jahren hatte er noch nie so etwas gesehen. Eine freudige Ellyl. Ihr Herz war froh über das, was Tanaros getan hatte. Es zeigte sich in der sanften Biegung ihrer Lippen. Es spiegelte sich in ihren Augen wider, in den grenzenlosen Tiefen ihrer Pupillen, im Strahlen der Iris, deren zarte Farben wie ein Regenbogen nach dem Regen waren. Obwohl ihre wundervolle Stimmung noch anhielt, würde es nicht mehr lange dauern, bis sie verflogen war. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit einer vorauseilenden Sehnsucht nach dem bald wieder

Weitere Kostenlose Bücher