Elegie - Fluch der Götter
Freundlichkeit an, die sie dem Raben erwiesen hatte, und mit demselben unerbittlichen Mitleid, mit dem sie die Irrlinge in Finsterflucht betrachtet hatte. »Wollt Ihr darüber reden?«
Speros hielt den Weinkrug bereit, hüstelte und wandte sich ab.
»Nein.« Tanaros stützte sich mit den Ellbogen auf dem blendend weißen Leinentischtuch ab und drehte den Stiel seines Weinpokals zwischen den Fingern. Er betrachtete seine Handrücken und die vernarbten Knöchel. Es war sehr, sehr lange her, seit er das Mitleid einer Frau erfahren hatte. Es wäre eine Erleichterung, darüber zu reden, eine so große Erleichterung, dass er schon die Vorf reude darauf tief in seinen Knochen spürte. Aber sie war die Hohe Frau der Ellylon und ein Kind Haomanes. Wie konnte er es ihr erklären? Fürst Satoris’ Befehl und sein eigenes Widerstreben, ihm zu gehorchen. Die Stärke, die aus dem Wasser des Lebens floss und noch
immer in seinen Adern kreiste, die Stille des Steinernen Haines und der sich hebende Kopf des alten Ngurra, der dem Bogen folgte, den seine schwarze Klinge beschrieb. Seine Weigerung, nachzugeben und einen Grund – irgendeinen Grund – dafür zu nennen. Nur ein einziges Wort: Wähle . Der Fall der Klinge, spritzendes Blut und der schreckliche Schrei von Ngurras verängstigter alter Frau. Das rasch darauf folgende Niederkrachen der Fjel-Streitkolben. All das würde sie nicht verstehen. All das hatte hier, in diesem Augenblick des gepflegten Gesprächs, keinen Platz. »Nein«, sagte er bestimmter. »Nein, Hohe Frau, ich möchte nicht darüber reden.«
»Wie es Euch beliebt.« Cerelinde neigte kurz den Kopf; ihr blondes, leuchtendes Haar fiel ihr wie ein Vorhang vor das Gesicht. Als sie den Kopf wieder hob, verdüsterte ein namenloses Gefühl ihren Blick. »Tanaros«, sagte sie. »Warum habt Ihr mich hergebracht?«
Überall im Hain ließen sich die Raben nieder und schauten herunter.
»Es ist nur eine kleine Geste der Freundschaft, Hohe Frau, mehr nicht.« Tanaros sah sich um und betrachtete die unzähligen glänzenden Augen. Da war Bring, still wie ein Stein, und beobachtete ihn. Ein seltsamer Kummer machte Tanaros’ Worte schwer. »Haltet Ihr mich einer solchen Tat für unfähig?«
»Nein.« Trauer und noch etwas anderes gab ihrer Stimme einen düsteren Klang. »Ich glaube, Ihr seid wie diese Bäume, Tanaros. Wie in ihnen ein tief verwurzeltes Leben fortwirkt, so lebt in Euch das Gute fort, verzerrt und verseucht durch das Böse. Und das macht mich traurig, denn es muss nicht sein. Ah, Tanaros!« Das Strahlen kehrte in ihre Augen zurück. »Auf Euch warten Vergeben und Arahilas Gnade, wenn Ihr nur die Hand ausstrecktet. Auf Euch und auf diesen jungen Mann, ja sogar auf die Raben. Auf alle Unschuldigen und Fehlgeleiteten, die im Schatten des Weltenspalters leben. Ist das eine so große Bitte?«
Er holte Luft und wollte darauf antworten, da erhob sich in dem Rabenhorst ein Wirbel aus schwarzen Federn, als alle Raben von Finsterflucht gleichzeitig in einer kreisenden Sturmwolke davonflogen. Ohne nachzudenken, sprang Tanaros auf die Beine, und
das schwarze Schwert steckte blank gezogen in seiner Faust. Die Mørkhar-Fjel kamen in donnerndem Lauf mit klappernden Waffen herbei. Der unbewaffnete Speros fluchte und schlug den Weinkrug gegen die Tischkante, wobei das schöne Stück zersprang und nun eine behelfsmäßige Waffe abgab. Roter Wein blutete in einem verlaufenden Fleck auf das weiße Leinen.
»Schöne Grüße, Vetter.« Uschahin stand am Rande der Lichtung – eine gebeugte Gestalt, klein und gelassen. Über ihm bildeten die Raben einen immer enger werdenden Kreis und antworteten ihm, als wäre er einer der Wehre. Er richtete den Blick seiner verschiedenfarbigen Augen auf Cerelinde. »Hohe Frau.«
»Traumspinner.« Ihre Stimme war kalt. Sie hatte sich erhoben und stand nun gerade wie ein Speer da.
»Tretet zurück.« Tanaros nickte Speros und den Fjel zu und schob sein Schwert wieder in die Scheide. Seine Hand schmerzte, und er verspürte eine seltsame Beklemmung in der Brust, als ob das Brandmal über seinem Herzen ein Stahlband wäre, das sich zusammenzog. »Was willst du, Traumspinner?«
»Ich bin hier auf Befehl des Fürsten. Es ist Zeit, die Raben wieder auszusenden.« Uschahin schenkte ihm ein knappes, schiefes Grinsen. In Cerelindes Gegenwart wirkte er noch missgestalteter als üblich. Bei ihm war die Schönheit der Ellylon in ihr Gegenteil verkehrt; es wirkte so, als wäre sein Körper von
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