Elegie - Fluch der Götter
dem angeekelten Blick der Bogenschützin. »Lass los .«
»Das würde ich ja gern«, sagte Fianna langsam und bedächtig, »aber ich habe einen Treueeid geschworen, und der König des Westens will, dass Ihr am Leben bleibt. Es ist außerdem der Wille unserer zwergischen Gastgeber, dass kein Mann mit jemandem von unserem Geschlecht in einem Raum allein ist. Also müsst Ihr mit mir vorliebnehmen. Trinkt.«
Sie neigte den Becher.
Kühles, einfaches Wasser tröpfelte in Lilias’ Mund. Sie wollte sich verweigern, wollte auf diesen Eindringling, der ihr das Leben erhalten sollte, eindreschen. Doch der harte Blick der Bogenschützin und der feste Griff um Lilias’ Handgelenk warnten sie. Also nahm sie missmutig einen Schluck nach dem anderen. Das kalte Wasser benetzte angenehm die ausgedörrte Haut von Mund und Kehle und blubberte in ihrem Bauch. Aber sie behielt es bei sich.
»Gut.« Fianna ging in die Hocke. »Gut.«
»Du solltest dir eigentlich meinen Tod wünschen«, keuchte Lilias. »Aracus ist ein Narr.«
»Ihr kennt seine Beweggründe. Und was mich angeht, ja, ich wünsche ihn mir.« Die Stimme der Bogenschützin war ausdruckslos,
und auf ihrem Gesicht lag kein bedrückendes Mitleid, sondern nur Hass und starkes Misstrauen. »Habt Ihr etwas anderes von mir erwartet?«
»Nein.« Lilias richtete sich auf, bis ihr Rücken die Kabinenwand berührte. »Nein, das habe ich nicht.«
»Dann verstehen wir einander.« Sie füllte den Becher erneut. »Trinkt.«
Lilias nahm ihn und bemühte sich dabei, die Finger der Bogenschützin nicht zu berühren. Das waren die Hände, die den Pfeil des Feuers auf den Bogen gelegt hatten; das waren die Finger, welche die Sehne von Oronins Bogen gespannt hatten. Lilias wollte sie nie wieder auf ihrer Haut spüren. »Allerdings, das tun wir.« Sie nippte an dem Wasser und beobachtete Fiannas Gesicht. »Sag mir, weiß Blaise Caveros, dass du in ihn verliebt bist?«
Langsam röteten sich die Wangen der Bogenschützin ein wenig, halb aus Verärgerung, halb wegen dieser Erniedrigung. »Es steht Euch nicht zu, seinen Namen auszusprechen!«, fuhr sie Lilias an und sprang auf die Beine.
Lilias zuckte die Schultern und nahm noch einen Schluck. »Soll ich es ihm sagen?«
Einen Augenblick lang glaubte sie, die andere Frau würde sie schlagen. Fianna stand gebeugt in der niedrigen Kabine, ballte die Hände zu Fäusten und lockerte sie wieder. Schließlich siegte ihre Disziplin, und sie schüttelte nur den Kopf. »Ich bedaure Euch«, sagte sie mit leiser Stimme. »Das sollte ich zwar nicht tun, aber ich tue es. Ihr habt vergessen, wie es ist, eine sterbliche Frau zu sein.« Sie betrachtete Lilias eingehend. »Falls Ihr es überhaupt je gewusst habt. Es ist eine Schande, denn das ist alles, was Euch geblieben ist, und alles, was Ihr je haben werdet.«
»Nicht ganz.« Lilias schenkte ihr ein bitteres Lächeln. »Ich habe noch meine Erinnerungen.«
»Ich wünsche Euch viel Freude damit!«
Mit diesen Worten schlug die Bogenschützin die Tür heftig hinter sich zu. Lilias seufzte und spürte, wie sich ihr verkrümmter Körper entspannte. Wenigstens hatte diese Konfrontation dazu beigetragen,
sie von ihrem Elend abzulenken. Sie würde diese Seereise wohl doch überleben. Das war Aracus’ Wille? Nun, dann sollte er seinen Willen haben. Es war nicht weniger als das, was der Sohn des Altorus verlangte. »Ich wünsche dir viel Freude damit«, flüsterte Lilias.
Sie trank den Rest des Wassers, drehte sich auf die Seite und schlief ein.
Als sie erwachte, war es stockfinster und erstickend heiß in der Kabine. Das Geräusch von tiefem und ruhigem Atmen drang aus einer anderen Koje. War das die Bogenschützin? Das war durchaus möglich, da die Zwerge es den Männern und Frauen verboten, ein Quartier miteinander zu teilen.
Bei diesem Gedanken krampfte sich ihr Magen zusammen. Mit leisen Bewegungen kletterte Lilias aus der Koje und begab sich zur Tür. Sie war nicht verriegelt und ließ sich ohne Schwierigkeiten öffnen. Lilias trat hinaus auf Deck und schloss die Tür behutsam hinter sich.
Hier fuhr ihr die Meeresbrise kühl und belebend über das Gesicht; sie schmeckte nach Salz. Lilias holte tief Luft und füllte ihre Lunge. Gnädigerweise beruhigte sich ihr Magen an der frischen Luft. Hier unter der Kuppel der Nacht war es beinahe angenehm. Die Sterne leuchteten strahlender als in den Bergen, und der zunehmende Mond legte einen hellen Pfad auf die dunklen Wellen. Hier und da hingen Laternen an
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