Elegie - Herr der Dunkelheit
Hübschen!
Sie fragte sich, ob sie begriffen, was auf dem Spiel stand.
Sie fragte sich, ob sie selbst es wusste.
Calandor?
Ja, Lilias?
Satoris wird sein Wort halten, oder?
Es herrschte Schweigen, eine längere Pause, als sie ertragen mochte.
Ja, Lilias, sagte der Drache, und Trauer schwang in seiner Stimme mit. Das wird er.
Wieso Trauer? Sie wusste es nicht, und ihr gefror angesichts dessen das Blut in den Adern. Schnaufende Männer schoben derweil die großen Steinblöcke in ihre Position. Granit, der graue Granit von Beschtanag, von Glimmer durchsetzt und grundsolide. Die rohen Knochen des Berges, der so lange schon ihre Heimat gewesen war, ein Bollwerk, das ihre Leute schützte. Jetzt, da die Ereignisse unaufhaltsam ihren Lauf nahmen, hätte sie über die Narrheit weinen können, Beschtanag derart aufs Spiel zu setzen.
Beschtanag war ihr Zufluchtsort, und sie war dafür verantwortlich, ihn zu halten und die Sicherheit ihrer Leute zu gewähren. Nun konnte sie nur noch alle Kraft auf die Verteidigung verwenden. Lilias schloss die Augen, begab sich in den rohen Stein hinein und gestaltete ihn, fühlte dabei, wie der Granit wie Wasser floss. Nach oben floss er, weiter nach oben, verschmolz mit seinem Schwesterstein. Die Mauer wuchs, zwei Handspannen, fünf, einen Fuß höher, glatt aneinandergefügt.
Lilias beugte sich vornüber und keuchte. Trotz des tupfenden
Schwamms lag der Soumanië wie ein Felsbrocken auf ihrer Stirn, und es war noch so viel, so viel zu tun!
Und wo blieben Fürst Satoris’ Botschafter?
Der Fährtensucher hatte recht gehabt, wie Turin feststellte, nachdem er sich auf dessen Vorschlag eingelassen hatte. Der Schlamm half wirklich. Er juckte, als er trocknete, und überzog sein Gesicht und seine Arme mit einer rissigen Schicht. Am besten war es, wenn man ihn feucht hielt, und das war nicht besonders schwierig, da sie stets zumindest knöcheltief im Wasser standen, meist sogar bis zu den Hüften. Am angenehmsten war es da, sich bis auf die Haut zu entkleiden; auch die Hitze des Deltas ließ sich so besser ertragen. Nur aus Anstand behielt Turin seine kurzen Hosen an, sonst trug er kaum noch etwas, von dem Rucksack auf dem Rücken und den voll Wasser gelaufenen Schuhen abgesehen. Wenn sie sich nachts auf Mangrovenästen zusammenrollten oder einen trockenen Hügel fanden, musste er das weiche, glitschige Leder von seinen Waden und Füßen pellen und fürchtete sich dabei stets vor der Fäulnis, die er dabei entdecken mochte.
Es stank nach Schlamm und Schweiß und verfaulenden Pflanzenresten.
Aber das Schlimmste … das Schlimmste war die Wollust .
Es ergab keinen Sinn, überhaupt nicht. Wieso hier, inmitten von Dreck und Schlamm? Aber so war es. Wollust, fruchtbar und anhaltend. Sie ließ seinen Puls wie eine Trommel schlagen, sein Fleisch anschwellen und hart werden und sorgte dafür, dass sich die Härchen auf seinem Nacken aufrichteten.
»Es ist sein Geburtsort.« Hunric wandte sich zu ihm um und grinste, und seine Zähne waren sehr weiß in der schlammverschmierten Maske seines Gesichts. Er breitete die Arme aus. »Fühlst du es, Turin? Seine Gabe ist hier noch zu spüren, hier!«
»Du hast Sumpffieber, Mann.« Turin strich sich das Haar aus der Stirn und beschmierte es dabei mit Schlamm. »Fürst Satoris’ Gabe ging verloren, als Oronin der Letztgeborene ihm den Gottestöter in den Schenkel bohrte.«
»Tatsächlich?« Der Fährtensucher drehte sich langsam um, die Arme noch ausgebreitet. »Das hier war der Ort, Turin. Es begann alles hier! Sieh doch nur.« Er senkte die Stimme zu einem Flüstern und griff nach dem groben Speer, dessen Spitze er im Feuer gehärtet hatte. »Eine Kriechechse.«
Turin sah zu und kämpfte gegen Verzweiflung und Lust, während Hunric der Fährtensucher einem der fleischigen, langsamen Deltabewohner auflauerte und ihn erlegte. Mantuas, der laut rufend und johlend auf die Jagd gegangen war, hatte den Gedanken als Erster gehabt, das weiße Fleisch über dem Feuer zu rösten, das sie stets nur unter großen Schwierigkeiten in Gang bekommen hatten. Jetzt war das alles anders.
»Was denn?« Hunric, der an seiner Beute herumkaute, sah ihn an.
»Beschtanag«, flüsterte Turin. »Hunric, wir müssen nach Beschtanag.«
»Müssen wir?« Einen Augenblick wirkte der Fährtensucher verwirrt. »Ja, tatsächlich!« Der fiebrige Glanz verschwand aus seinen Augen, und er ließ den Körper der Echse blinzelnd sinken. »Beschtanag. Das liegt östlich,
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