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Elegie - Herr der Dunkelheit

Elegie - Herr der Dunkelheit

Titel: Elegie - Herr der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
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der über den schwarzen Marmorboden
schleifte, allzu deutlich bewusst. Schatten lagen um ihre leuchtenden Augen, aber die Gefangenschaft hatte ihre Schönheit nur vertieft und mit Trauer verbrämt. Haomanes Kind. Die diensthabenden Fjel der Finsterflucht-Wacht salutierten, als er mit der Ellylfrau an ihnen vorüberging, und ihre ausdruckslosen Gesichter gaben nichts von ihren Gedanken preis.
    »Hier, Hohe Frau.« Ein schmaler Flur führte zu einer Tür, deren Holz zu seidenem Glanz poliert worden war, während die Beschläge und Schlösser aus angelaufenem Silber waren. Tanaros drehte den Schlüssel, stieß die Tür auf, und ein leichter, vielfältiger Duft zog herein. Er trat zurück und verbeugte sich. »Der Garten.«
    Cerelinde trat an ihm vorüber.
    »Oh Haomane!«
    Er hörte, wie sich Freude und Trauer in ihrer Stimme vermischten, und spürte einen Knoten in seinem Bauch. Dann trat auch er in den Garten und zog die Tür sorgfältig hinter sich zu. Erst danach wagte er, sie anzusehen. Die Hohe Frau der Ellylon stand sehr still, und die Gemeinsame Sprache kannte keine Worte, mit der man ihren Gesichtsausdruck hätte beschreiben können. Die Luft war warm und mild und erfüllt vom Duft fremdartiger Blumen. Über ihnen stand Arahilas Mond voll und leuchtend links vom Rabenturm und tauchte den Garten in silbernes Licht.
    Es war wunderschön.
    Das hatte sie nicht erwartet, dachte Tanaros.
    Verdorbenes Wasser, das verdorbene Erde benetzte, gesättigt vom unaufhörlich aus Fürst Satoris’ Wunde rinnenden Ichor. Daraus war der Garten von Finsterflucht entstanden, und hier wuchsen Blumen, wie man sie sonst nirgendwo auf Urulat fand.
    Sie blühten nur in der Nacht, streckten ihre Ranken und Blätter dem freundlichen Licht von Arahilas Mond und Sternen entgegen und trieben blasse Blüten.
    Cerelinde wanderte durch diese Wunder, und der Saum ihres Gewands hinterließ eine dunkle Spur, wo er das taunasse Gras berührte. »Wie nennt man diesen hier?« Sie blieb neben den anmutig herabhängenden Ästen eines blühenden Baums stehen, aus dessen
zarten Blüten, blassrosa wie ein blutunterlaufenes Auge, klare Tränen auf den Boden fielen.
    »Das ist ein Trauerbaum.« Tanaros beobachtete sie. »Er trauert um die Gefallenen.«
    »Und die hier?« Sie nahm eine Kletterpflanze in Augenschein, die sich um den Baumstamm wand und wachsfarbene, trompetenförmige Blüten trieb, die einen bleichen Schimmer verbreiteten.
    »Leichenblumen, Hohe Frau.« Er sah, wie sie schockiert den Kopf hob. »In den dunklen Nächten kurz vor Neumond stoßen sie die Schreie der Toten aus, jedenfalls erzählt man sich das.«
    Cerelinde erschauerte und trat von den Ranken zurück. »Das hier ist eine entsetzliche Schönheit, Heerführer Tanaros.«
    »Ja«, sagte Tanaros schlicht und nahm wieder ihren Arm. Die Sterne leuchteten über ihnen wie tausend Augen, als er sie zu einem weiteren Beet führte, in dem sich Blüten wie Augen zu ihren Füßen öffneten, fünfzackige Blütenblätter, die blassviolette Streifen zeigten. »Habt Ihr diese hier gesehen?« Ein zarter, süßer Geruch hing in der Luft, beinahe quälend. Seine Augen füllten sich unwillkürlich mit Tränen.
    … ihr Gesicht, sein Weib Calista, die Augen groß und angstvoll geöffnet, als sie auf dem Wochenbett lag und ihn ansah, wie er das Kind in seinen Armen hielt …
    »Nein!« Cerelinde entwand sich seinem Griff, sah ihn misstrauisch an und atmete schwer. »Was für eine Blume ist das, Tanaros?«
    »Die Vulnusblüte.« Sein Lächeln war angespannt. »Was habt Ihr gesehen?«
    »Euch«, sagte sie leise. »Ich sah Euch, im Tal von Lindanen, Euer Schwert nass vom Blut meiner Familie.«
    Tanaros nickte mit einer kurzen Bewegung. »Ihr Duft beschwört Erinnerungen herauf. Schmerzvolle Erinnerungen.«
    Cerelinde schloss die Augen. »Was seht Ihr, Tanaros?«
    »Ich sehe meine Frau.« Die Worte kamen härter hervor, als er beabsichtigt hatte. Er sah, dass sich ihre Augenlider hoben und die Wimpern mit elegantem Schwung in die Höhe gingen, um das leuchtende Grau zu enthüllen.

    »Armer Tanaros«, flüsterte sie.
    »Kommt.« Er zog sie am Arm zu einem weiteren Beet, wo glockenförmige Blüten an schlanken Stängeln hingen und im Mondlicht mit blassem, wehmütigem Klang erschauerten. »Wisst Ihr, was das für Blumen sind?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Clamitus Atroxis«, erklärte Tanaros knapp. »Trauerglöckchen. Sie erklingen bei jeder sinnlosen, grausamen Tat, die in der Gespaltenen Welt verübt

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