Elegie - Herr der Dunkelheit
ihm würde stets den Wehren verwandt bleiben. Er kannte die Pfade, die sie gingen, die dunklen Pfade des Waldes, die dunklen Pfade durch das Bewusstsein des Rudels. Obwohl sein Weg sich nun von dem ihren getrennt hatte, hörte er den Widerhall ihrer Gedanken. Als Oronins Bogen gegen einen seiner Brüder erhoben wurde, fühlte er es, und er erschauerte, als der tödliche Pfeil traf. Als der schreckliche Pakt geschlossen wurde, senkte er den Kopf und trauerte.
»Du bist zu hastig, Mutter«, war alles, was er flüsterte.
Es war ihr Recht, das Recht der Graufrau Vaschuka. Und er verstand sie, oh ja, er begriff den Gedanken, der dahinterstand. Oronins Kinder hatten nie etwas anderes verlangt als die Einsamkeit, das Recht zu jagen und das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Dennoch, dachte er, hatte sie zu viel aufgegeben, und zu schnell. Vielleicht war es ein Trick, ja, vielleicht. Der Pakt hielt nur so lange, wie die Graufrau lebte. Und sie mochte viele hundert und noch einmal hundert Jahre leben, die ihr die Brüder opferten. Seine Graufrau, die Graufrau Sorasch, hatte sehr lange gelebt.
Vielleicht aber auch nicht. Das blieb abzuwarten.
Uschahin beobachtete die Pferde.
Pferde hatten nicht viel für ihn übrig. Er entstammte zwar zwei Rassen der Geringeren Schöpfer, deren Herrschaft über die niedrigeren Geschöpfe nicht hinterfragt wurde, aber die Jahre bei den
Wehren hatten ihn mehr geprägt als alles andere. Pferde spürten das, als ob seiner Haut ein Geruch anhaftete. Uschahin, das Raubtier. Sie trugen ihn bestenfalls widerwillig, und er selbst bevorzugte es eigentlich auch, sich auf seinen eigenen zwei Beinen fortzubewegen. Das hatte so lange gut funktioniert, bis der Fürst die Bahnen geschlossen hatte. Jetzt musste Uschahin schnell vorankommen. Finsterflucht wartete, und die Pferde von Finsterflucht standen bereit.
Sie waren wunderbare Geschöpfe, das war nicht zu leugnen. Ihre unpassende Tarnung hatten sie schon lange abgestreift; die schlecht geschnittenen Mähnen und Schweife waren bereits wieder in fließender Schönheit nachgewachsen. Sie waren nicht gestriegelt, gut; aber sie hatten den struppigen Winterpelz abgeworfen, und ihr Sommerfell glänzte vor guter Gesundheit.
Er hatte sein Auge auf den Besten aus der Herde geworfen, einen schlecht gelaunten Braunen, dessen Fell die Farbe getrockneten Blutes hatte; Mähne und Schweif waren schwarz. Er war Hunrics Reittier gewesen, wenn ihn die Erinnerung nicht trog. Ein langbeiniger Hengst mit einem schönen, keilförmigen Kopf und dazu passenden, schnell zuschnappenden Zähnen. Die Pferde von Finsterflucht hatten schärfere Zähne als anderswo gezüchtete Rösser.
Uschahin wartete bis zur Abenddämmerung, in der seine Fähigkeiten am stärksten ausgeprägt waren. Dann trat er unter den Bäumen hervor, ein Seil in den Händen. Es hatte dazu gedient, seinen Kahn festzumachen, und es würde auch für diesen Zweck genügen.
»Komm«, lockte er. »Komm zu mir, mein Hübscher.«
Das Tier stand wie angewurzelt auf wachsamen Beinen und zeigte das Weiße in seinen Augen, sich Uschahins Absichten völlig bewusst. Er musste den Zauber einsetzen, einen Trick der Wehre, indem er den Verstand des Pferdes mit dem Netz seiner Gedanken einfing. Nachdem das geschafft war, stand das Pferd still da und seine Haut zuckte, als sei es von einer Fliege gestochen worden. Uschahin humpelte aus seinem Versteck hervor, legte ihm das Seil um den Hals, drehte eine Schlinge um sein weiches Maul und knotete den Strick so zusammen, dass er eine Art Zaumzeug abgab.
»So«, flüsterte er. »Ist doch gar nicht so schlecht, nicht wahr?«
Der blutbraune Hengst erschauerte. Sie standen so nahe beieinander, dass sich beider Haar ineinander verfing: Uschahin, der sich nach vorn beugte, geriet mit seinem feinen, blassen Haar in die schwarze Mähne des Pferdes. Er konnte den Schweiß riechen und den Schaum, der sich auf der blutdunklen Decke des Tieres bildete. Er würde dessen Widerstand nicht auf ewig unterdrücken können, wenn er nicht auf dem ganzen Weg bis nach Finsterflucht so weitermachen wollte. Und das wollte er nicht. Jetzt oder nie. Den Schmerz in seinen verkrüppelten Gliedern nicht achtend, legte er dem Pferd einen Arm über den Hals, zog sich mit aller Kraft auf dessen Rücken und drückte mit den Schenkeln fest zu.
»Nach Hause!«, rief er und riss das Gedankennetz, mit dem er das Pferd gebunden hatte, weg.
Der Braune explodierte unter ihm: Er keilte aus, bockte, sprang mit
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