Elegie - Herr der Dunkelheit
hinter seinen dunklen Augen lag. Obwohl er ihr Feind war, behandelte er sie mit ausgesuchter Höflichkeit. Sie kannte die Antwort nicht.
Er kehrte zurück.
Sie alle kehrten zurück. Die Worte von Vorax dem Gierschlund hatten das bestätigt. Irgendwo in der Welt außerhalb der Mauern von Finsterflucht hatte sich das Schicksal gewendet. Beschtanag war gefallen. Tanaros Königsmörder und Uschahin der Fehlgezeugte waren auf dem Weg, und bald würden die Drei wieder vereint sein. Ihnen auf den Fersen folgten Aracus Altorus, die Grenzwacht und ihre Familie, die Finsterflucht erstürmen wollten.
Sie war die Hohe Frau der Ellylon und seine ihm Anverlobte, der Schlüssel zur Erfüllung von Haomanes Prophezeiung. Sie würden nicht aufgeben, bis sie befreit war, oder bis sich die Ebene von Curonan mit dem letzten Tropfen ihres sterbenden Blutes in roten Schlamm verwandelt hatte.
Und Fürst Satoris in seinem unsterblichen Stolz und seiner Narrheit würde das genießen.
Das einzig Sichere war der Tod. Was auch immer dabei herauskommen mochte, die Raben von Finsterflucht würden das Fleisch von Feinden wie Verbündeten picken. Der Gedanke ließ sie bis ins Mark erschauern. Die Hand von Haomanes Prophezeiung schwebte über ihr, ein heller und schrecklicher Schatten, erfüllt mit dem zweifachen Versprechen von Hoffnung und Blutvergießen. Zwar wünschte sie sich, es wäre anders, aber sie verstand nun, wie beides miteinander verwoben war.
Alle Dinge waren so, wie sie sein mussten. Licht und Dunkelheit, in eine unauflösliche Schlacht verstrickt. Die Pfade, sie sie hierhergeführt hatten, begannen sich zu verengen. Bald würde es keine Rolle mehr spielen, was hätte sein können . Nur noch das, was war .
Sie hatte Angst und war es müde, mit ihrer Angst allein zu sein.
Eile dich , betete Cerelinde. Oh, eile dich doch!
Und sie war sich in diesem Augenblick nicht sicher, zu wem oder wofür sie betete.
Von all den Dingen, die ihr in Finsterflucht zugestoßen waren, erschreckte sie dies mit Sicherheit am meisten.
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JACQUELINE CAREY KUSHIEL. DAS ZEICHEN
D amit niemand annimmt, ich sei ein Kuckuckskind, das von lüsternem Bauernvolk unehelich gezeugt und in einem schlechten Erntejahr in die Leibeigenschaft verkauft wurde, will ich vorausschicken, dass ich einem der Dreizehn Häuser entstamme und im Nachtpalais selbst großgezogen wurde, auch wenn es mir nicht viel genützt hat.
Es fällt mir schwer, meinen Eltern dafür böse zu sein, obgleich ich sie um ihre Naivität beneide. Niemand hatte ihnen bei meiner Geburt gesagt, dass sie mich mit einem Unglück verheißenden Namen bedacht hatten. Sie nannten mich Phèdre, ohne zu wissen, dass dies ein hellenischer Name ist, auf dem ein Fluch lastet.
Bei meiner Geburt hatten sie, so glaube ich, noch Grund zur Hoffnung. Als ich die Augen zum ersten Mal aufschlug, waren sie noch von unbestimmter Farbe, und schließlich ändert sich das Aussehen eines neugeborenen Kindes ununterbrochen, verwandelt sich von Woche zu Woche. Blonde Strähnen weichen pechschwarzen Locken, anfängliche Blässe reift zu einem satten Goldbraun und so fort. Doch nachdem ich alle Stufen meiner frühkindlichen Wandlung durchlaufen hatte, war es offenkundig.
Ich hatte einen Makel.
Natürlich fehlte es mir nicht an Schönheit, selbst als Säugling nicht. Immerhin bin ich eine D’Angeline, und seit der Heilige Elua damals den Boden unserer großen Nation betrat und sie zu seiner Heimat ernannte, ist auf der ganzen Welt bekannt, was es bedeutet, ein D’Angeline zu sein. Die sanften Züge meiner Mutter spiegelten sich in zierlicher Vollkommenheit in meinem Gesicht wider. Auch wenn meine Haut für den Kanon des Jasmin-Hauses zu hell war, gab
es gegen ihren elfenbeinfarbenen Teint nichts einzuwenden. Mein Haar, das sich anmutig und in üppiger Pracht lockte, war schwarz wie die Schatten der Nacht, was in manchen Häusern als besonderer Vorzug erachtet wurde. Meine Glieder waren gerade gewachsen und geschmeidig, meine Knochen ein Wunder an anmutiger Kraft.
Nein, das Problem war ein anderes.
Es waren meine Augen; und nicht einmal beide, sondern lediglich das eine.
Ein so kleines Detail bestimmte über ein ganzes Schicksal. Es war nichts weiter als ein winziges Körnchen, ein kleiner Fleck, ein bloßer Farbpunkt. Hätte er eine andere Färbung gehabt, wäre vielleicht alles anders gekommen. Als meine Augen sich klärten, leuchteten sie in der Farbe, welche die Dichter Bister nennen, dunkel und glänzend
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