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Elegie - Herr der Dunkelheit

Elegie - Herr der Dunkelheit

Titel: Elegie - Herr der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
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hinter den
Mauern. Lampenlicht fiel auf bunte Wandteppiche, schimmerte auf vergoldeten Statuen, funkelte auf juwelenbesetzten Oberflächen. Er hatte zehn sterbliche Lebensspannen Zeit gehabt, um die Schätze anzuhäufen, die nun seine Räume schmückten. Von irgendwoher erklang Musik. Sie brach ab, als er eintrat, und setzte dann wieder ein; die Harfnerin beugte den Kopf über ihr geschwungenes Instrument, das mit Einlegearbeiten aus Elfenbein versehen war, und ihre Finger liebkosten die Saiten. Drei stakkianische Dienerinnen erhoben sich und umringten ihn voller Fürsorge. Ihre geschickten Finger lösten seine prunkvolle Rüstung.
    »Herr, Ihr müsst müde sein!«
    »Herr, ihr müsst ausruhen!«
    »Herr, ihr müsst essen!«
    Letztlich war es nicht zu viel verlangt. Seit tausend Jahren garantierte er die Sicherheit seines Volkes. In der Badestube ließ sich Vorax von den Mädchen auskleiden; dann stand er da, während sie warmes Wasser hereinbrachten und den Gestank von Schweiß und Angst von seiner Haut wuschen. Das Wasser rann über das rötliche Haar auf seiner Brust, über den vorstehenden Wanst und die stämmigen Beine. Ihre Hände waren sanft. Sie verstanden seine Bedürfnisse und wurden für ihre Dienste gut bezahlt; ihre Familien waren reich mit Adelstiteln, Ländereien und Geld bedacht worden. Verdiente ein Mann nach tausend Jahren denn nicht dergleichen?
    Sie kleideten ihn wieder an und führten ihn sanft zu seinem großen Stuhl aus Hartholz, der ebenfalls einen Bären darstellte. Einst war dies das Wappen seiner Familie gewesen. Nun war es seines, seines allein. Er ließ sich hineinfallen, in die vertraut geschwungene Form, die sich über die langen Jahrhunderte an seinen Körper angepasst hatte. Eine seiner Dienerinnen holte einen Krug mit vedasianischem Wein und schenkte ihm einen Kelch randvoll. Er stürzte die Hälfte in einem Zug hinunter, während eine andere Dienerin zur Tür eilte und leise eine Nachricht an die Küche weitergab. Ein Mahl mit neun Gängen, mit einer Suppe, um seinen Appetit anzuregen, einem Stück Taube, einem ganzen Lammrücken, mit gegrilltem Steinbutt, einer Käseplatte und einem süßen Nachtisch. Sein Magen knurrte angesichts
dieser Aussicht. Dieser Tag verlangte Nahrung im Überfluss. Er trank den Rest des Kelchs leer, streckte ihn aus, damit ihm nachgeschenkt wurde, und leerte ihn erneut. Wärme durchflutete ihn aus seinem Inneren. Der Wein begann seine steifen Gelenke zu lockern und verwandelte den Schmerz seines aufgeschlagenen Knies in ein weit entferntes Pochen. Sein freier Arm lag in gebieterischer Pose über der Lehne des Sessels, und seine Finger schlossen sich um die Bärenpfoten. Seine Füße lagen auf weichen Kissen. Er stöhnte, als eine weitere Dienerin sich vor ihn kniete und seine bestrumpften Sohlen mit ihren Daumen knetete.
    »Ist das gut, Herr?« Ihre blaugrauen Augen sahen zu ihm auf. Über ihre Nasenwurzel zogen sich Sommersprossen. Sie hätten unschuldig gewirkt, diese Augen, wäre da nicht das listige Schimmern von Goldmünzen in ihren Tiefen gewesen. Als jüngste Tochter eines kleinen stakkianischen Adeligen wusste sie, wo der Gewinn für ihre Familie lag. »Euer Abendessen wird sofort serviert.«
    »Ja«, sagte er sanft und dachte an das leise Erröten der Hohen Frau Cerelinde, an ihre schreckliche Schönheit und an den Geruch der Vulnusblüten. Manche Dinge wurden besser in barer Münze berechnet. »Es ist gut, meine Süße.«
    Ein leichtes Kratzen an der Tür zeigte an, dass sein Essen bereitstand. Vorax atmete tief ein, als die Hauben von den Speisen gehoben wurden und ihr würziges Aroma durch seine Gemächer zog. Seine stakkianischen Dienerinnen geleiteten ihn zu Tisch, der unter dem Gewicht seiner bevorzugten Genüsse ächzte. Sie brachten den Weinkrug und stellten ihm den Kelch bequem in Reichweite. Er beäugte das Mahl und wählte als Erstes eine Schale Kraftbrühe, die er mit beiden Händen an die Lippen setzte.
    Ein Berg von Essen wäre nötig gewesen, um die Erinnerung an seinen Patzer in der Brunnenkammer wegzuwischen, an Fürst Satoris’ Zorn, an das Schweigen aus Stakkia, an die Zusammenkunft der Irrlinge, an die Anwesenheit der Hohen Frau der Ellylon in ihrer Mitte und vor allem an den klaffenden Abgrund im Herzen von Finsterflucht.
    Mit einem großen Schluck aus der Schale begann Vorax.

     
    »Geht, Hohe Frau, geht!« Meara gab ihr tatsächlich einen Schubs und riss dann sofort die Hände zurück, als ob sie sich verbrannt hätte.

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