Elegie - Herr der Dunkelheit
Gedankenfürst verfügt über dieses Wissen.«
Meara neigte den Kopf. Ihre Augen, die durch das verfilzte Haar spähten, glänzten listig. »Und was ist mit dem Fürsten?«
»Fürst … Satoris?« Cerelinde erstarrte unwillkürlich. In der Erinnerung sah sie den Schöpfer, wie seine Gestalt die Sterne auslöschte, wie der Schatten seiner Hand sich hart und schwarz von dem verdorrten Gras des Mondgartens abhob, die Hand, die er ihr geduldig und in der Erwartung sicherer Ablehnung entgegenstreckte.
»Ja.« Meara nickte heftig.
Cerelinde schüttelte den Kopf. »Er ist ein Schöpfer. Er befindet sich jenseits meiner Kunst.«
»Da war einmal eine … wie nennt Ihr das? Eine wichtige Wegkreuzung.« Meara, die auf den Boden blickte, zupfte an dem Teppich und schnupperte dann an dem süßen Geruch des Herzgrases an ihren Fingern. »Als er sich weigerte, dreimal, Arahilas Kindern seine Gabe wegzunehmen.« Ihr spitzes Kinn zeigte nach oben, und ihre Augen schimmerten. »Was wäre wohl passiert, wenn er das nicht getan hätte? Das könntet Ihr doch für ihn sehen.«
Ein Schauer rann über Cerelindes Rücken. »Ich glaube nicht«, sagte sie sanft, »dass der Fürst einwilligen würde, mich danach forschen zu lassen.«
»Ihr könntet ihn fragen.« Meara richtete sich abrupt auf und warf ihr Haar zurück. »Es wäre doch interessant zu wissen, da einige von Arahilas Kindern diese Gabe ablehnen. Die Gabe des Fürsten, meine ich. Was ja komisch ist, denn es ist doch alles, was sie Euch voraushaben; alles, was ich Euch voraushabe. Ich weiß das wohl.« Sie legte sich die Hände auf die Hüften und betrachtete die Hohe Frau der Ellylon mit einem beunruhigenden Blick. »Ich werde jetzt gehen.
Danke für das, was Ihr getan habt. Es hat einigen von uns sehr viel bedeutet. Es tut mir leid, dass ich Euch in Gefahr gebracht habe, aber ich glaube nicht, dass Fürst Vorax Euch töten wird. Jedenfalls jetzt noch nicht.«
»Gut«, sagte Cerelinde schlicht und erwiderte den Blick.
Als die Irrlingsfrau gegangen war, vergrub Cerelinde das Gesicht in den Händen und holte tief und aufschluchzend Luft. Letztlich gab es hier einfach zu vieles, das ihren Verstand überstieg. Sie war dankbar gewesen, als Meara sie gefragt hatte. Sie hatte gehofft, dass sie, wenn sie diese kleine Gabe mit ihnen teilte, ein wenig Mitgefühl in die düsteren Hallen von Finsterflucht würde bringen können, zu den mageren Existenzen jener, die in seinen Mauern wohnten. Es war ihr wie eine kleine Gefälligkeit, eine bloße Gefälligkeit erschienen, um ein wenig Trost zu spenden statt der Heilung, die sie nicht bewirken konnte.
Jetzt war sie sich dessen nicht mehr so sicher.
Sie suchte nun sich selbst zu trösten, dachte an Aracus und versuchte sich sein Verständnis vorzustellen. Doch nichts war da, nur die Erinnerung an seinen fordernden Blick aus den weit auseinanderstehenden Augen, der ihr Blut auf ungewohnte Weise in Wallung brachte und damit Hoffnung und Stolz und den Traum in ihr weckte, dass die Prophezeiung eines Tages doch erfüllt werden mochte.
An diesem Ort erschien ihr das alles sehr weit weg.
Sie dachte stattdessen an Tanaros und erinnerte sich an die alte Irrlingsfrau Scharit, die sie in den Fluren Finsterfluchts getroffen hatten, und daran, wie behutsam er ihre Hand nahm und wie stolz sie dastand und seine Finger festhielt. Was auch immer an diesem Tag geschehen war, Tanaros würde es verstehen.
Er war nicht das, was sie erwartet hatte, gleichzeitig mehr und weniger. Weniger furchtgebietend, ein Mensch, kein Unhold. Und dennoch war er mehr als ein Mensch. Er war unsterblich, im Gegensatz zu Aracus. Ähnlich wie die Ellylon vermochte er in Zeitaltern zu denken.
Cerelinde fragte sich, wie er gewesen sein mochte, vor langer Zeit, als Sterblicher. Vielleicht nicht so viel anders als Aracus. Schließlich
war Tanaros entfernt mit dem Haus Altorus verwandt und als Ziehbruder des Königs aufgewachsen. Er musste seinem Lehnsherrn so nahe gestanden haben wie Blaise Caveros ihrem Verlobten. War er ihm ebenso treu ergeben gewesen? Ja, dachte sie, sicherlich. Der Verrat hätte ihn nicht so tief verletzt, wenn es anders gewesen wäre.
Und er musste auch seine Frau geliebt haben. Welche Art von Leidenschaft hatte sie dazu gebracht, einen so schrecklichen Verrat zu begehen? Sie dachte an Aracus und an das jähzornige, heiße Blut, das in seinen Adern floss. Und sie dachte an Tanaros, verlässlich und gelassen, trotz des uralten, quälenden Schmerzes, der
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