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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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bisher geltenden Theorien anzupassen; erst zu Beginn der zwanziger Jahre stellte sich dieser Rahmen als hoffnungslos überholt heraus.
        Wenn Niels Bohr als der eigentliche Begründer der Quantenmechanik angesehen wird, beruht das nicht nur auf seinen persönlichen Entdeckungen, sondern vor allem auf der außerordentlich schöpferischen Atmosphäre, dem Klima intellektueller Aufgeschlossenheit, geistiger Freiheit und freundschaftlicher Beziehungen, das er um sich herum zu erzeugen verstanden hatte. Das Institut für theoretische Physik in Kopenhagen, das Bohr 1919 gegründet hatte, sollte zu einem Treffpunkt aller jungen europäischen Physiker werden. Heisenberg, Pauli und Born verbrachten dort ihre Lehrjahre. Bohr, der ein wenig älter war als sie, diskutierte mit ihnen stundenlang jede Einzelheit ihrer Hypothesen mit einer einzigartigen Mischung aus philosophischem Scharfsinn, Wohlwollen und logischer Strenge. Er war von fast pedantischer Genauigkeit und duldete keinerlei annähernde Erklärung bei der Auswertung der Versuche; aber auf der anderen Seite sah er keine neue Idee von vornherein als verrückt, kein überliefertes Konzept als unantastbar an. Er lud seine Stu- denten gern in sein Landhaus in Tisvilde ein, empfing dort Wissenschaftler aus anderen Fachrichtungen, Politiker, Künstler; die Gespräche verliefen in zwanglosen Bahnen, von der Physik zur Philosophie, von der Geschichte zur Kunst, von der Religion zu Alltäglichem. Seit den Anfängen der griechischen Philosophie hatte es nichts Vergleichbares gegeben. In diesem außergewöhnlichen Kontext wurden in den Jahren 1925 bis 1927 die grundlegenden Begriffe der »Kopenhagener Deutung« formuliert, die die bestehenden Kategorien Raum, Kausalität und Zeit weitgehend aufhoben.
        Djerzinski war es nicht im entferntesten gelungen, ein ähnliches Phänomen in seiner Umgebung wiederaufleben zu lassen. Die Atmosphäre in dem Forschungsinstitut, das er leitete, war im großen und ganzen die eines gewöhnlichen Büros. Entgegen der unter romantischen Zeitgenossen weit verbreiteten Vorstellung vom Forscher als einem Rimbaud des Mikroskops, sind die Molekularbiologen meistens rechtschaffene, nicht sonderlich geniale Techniker, die Le Nouvel Observateur lesen und davon träumen, ihren Urlaub in Grönland zu verbringen. Die molekularbiologische Forschung erfordert keinerlei schöpferische Begabung, keinerlei Erfindungsgabe; in Wirklichkeit ist es eine fast völlig routinemäßige Tätigkeit, die nur durchschnittliche, zweitrangige geistige Fähigkeiten erfordert. Die Leute schreiben Doktorarbeiten, habilitieren sich, dabei würde ein Grundstudium völlig ausreichen, um die Apparate zu bedienen. »Um sich eine Vorstellung vom genetischen Code zu machen«, pflegte Desplechin, der Direktor der Biologieabteilung des nationalen Forschungsinstituts CNRS, zu sagen, »um das Prinzip der Proteinbiosynthese zu entdecken, ja, da mußte man schon die Ärmel etwas hochkrempeln. Übrigens hat, wie Sie ja wissen, Gamow, also ein Physiker, als erster die Sache unter die Lupe genommen. Dagegen die Entschlüsselung der DNA-Moleküle, bah ... Da wird entschlüsselt und entschlüsselt. Man nimmt sich ein Molekül vor und dann das nächste. Gibt die Daten in einen Computer ein, der Computer berechnet die Untersequenzen. Man sendet ein Fax nach Colorado: die arbeiten am Gen B27, wir sitzen am C33. Reine Bastelei. Ab und zu gibt's eine kleine technische Neuerung; das reicht im allgemeinen schon für den Nobelpreis. Das ist doch Kinderkram; geradezu lächerlich.«

        Am Nachmittag des 1. Juli herrschte eine drückende Hitze; einer jener Nachmittage, die schlecht enden, an denen sich schließlich ein Gewitter entlädt, das die entblößten Körper vertreibt. Desplechins Büro ging auf den Quai Anatole-France hinaus. Auf der anderen Seite der Seine, am Quai des Tuileries, schlenderten Homosexuelle in der Sonne, unterhielten sich zu zweit oder in kleinen Gruppen, teilten sich ein Badetuch. Fast alle trugen Strings. Ihre mit Sonnenöl eingeriebenen Muskeln schillerten im Licht, ihre Hintern waren glänzend und gewölbt. Mitten im Gespräch massierten manche ihre Geschlechtsorgane durch das Nylon der Strings hindurch oder schoben einen Finger unter den Stoff und ließen ihre Schamhaare oder den Phallusansatz sehen. Desplechin hatte in der Nähe der Fensterwand ein Fernrohr aufgestellt. Er war, wie gemunkelt wurde, selbst homosexuell; in Wirklichkeit war er seit einigen

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