Elena – Ein Leben fuer Pferde
Gewissen.
Christian beschrieb den Polizisten Fritzi, dann schob er das Sommergitter auf. Heinrich hatte gestern wie jeden Abend den Reitplatz und den Sandweg, der zu den Dressurplätzen und zum Wald führte, mit dem Bahnplaner glatt gezogen. In der gleichmäßigen Fläche waren deutliche Huf- und Fußspuren zu erkennen, die vom Stall in Richtung Wald führten. Die Polizisten folgten den Spuren am Rande des Weges, um nichts zu zertrampeln, Christian und ich gingen mit.
Am Waldrand fanden wir noch mehr Fußspuren, dazu Spuren von Autoreifen und den Abdruck einer Hängerklappe. Daneben lagen vier Stofffetzen aus Kunstpelz.
»Das haben wir schon ein paar Mal gesehen«, sagte der Kommissar. »Offenbar wickeln die Diebe den Pferden diese Fetzen um die Hufe, damit die Hufeisen keinen Lärm machen. Sieht wirklich so aus, als ob euer Pferd gestohlen worden wäre.«
»Kannst du uns ein Bild des Pferdes besorgen?«, fragte die Kommissarin mich.
Ich nickte und lief zum Haus. Erst da fiel mir Tim ein. Ich musste ihm unbedingt Bescheid sagen! Ich tippte seine Kurzwahlnummer und erschrak beinahe zu Tode, als sich die barsche Stimme von Richard Jungblut meldete. Vor Schreck drückte ich das Gespräch weg. Tims Vater war doch zu Hause! Oh Gott, der arme Tim! Ganz sicher hatte er Ärger bekommen und sein Vater hatte ihm das Handy abgenommen. Auch das noch! Der Tag, der so wunderschön begonnen hatte, entwickelte sich zu einem Albtraum.
Ich fand ein Foto von Fritzi, das auf dem Turnier in Viernheim aufgenommen worden war, und lief zurück zum Stall. Dort hatten sich die Polizisten mittlerweile um Robbie geschart, der noch immer schlief.
»Wir müssen Papa und Mama anrufen«, sagte ich mit zittriger Stimme.
»Hab ich schon versucht«, erwiderte mein Bruder. »Kein Empfang. Opa hat sein Handy wahrscheinlich gar nicht mitgenommen und Lajos geht nicht dran. Wirklich super.«
»Liam müsste doch jeden Augenblick kommen«, bemerkte Melike.
»Der kann auch nichts machen.«
»Gleich kommen unsere Kollegen von der Spurensicherung«, sagte der Hauptkommissar. »Sie werden versuchen, Fingerabdrücke im Stall zu nehmen, also fasst dort bitte nichts an. Außerdem sollte ein Tierarzt eurem Hund Blut abnehmen. Die Diebe haben ihm sicherlich ein Schlafmittel gegeben, damit er sie nicht stört.«
Wahrscheinlich hatten sie auch Fritzi etwas gegeben, denn der würde nicht so ohne Weiteres mitten in der Nacht mit fremden Männern mitgehen.
Der Kommissar drückte Christian seine Visitenkarte in die Hand. »Wenn ihr irgendetwas hört oder wenn euch noch etwas einfällt, dann ruft mich an.«
Niemand von uns hatte Lust auf ein Frühstück. Gemeinsam brachten wir die Stuten, Fohlen und Jungpferde auf die Koppeln, stellten einige der Turnierpferde in die Führmaschine, ritten und longierten die anderen Pferde.
Die Zeit verging schleichend. Zum Mittagessen legten wir uns die restlichen Steaks auf den Grill. Die Stimmung war gedrückt. Papa und Mama waren nach wie vor nicht zu erreichen, auch Lajos nicht, und Liam war noch immer nicht aufgetaucht.
»Wie kann er uns so im Stich lassen!«, empörte Christian sich. »Er weiß doch ganz genau, was hier für eine Arbeit ist! Und jetzt hat er einfach sein Handy abgeschaltet, dieser faule Mistkerl!«
Ich kaute lustlos auf meinem Steak herum. Plötzlich erstarrte ich.
»Liam!«, flüsterte ich und ließ Messer und Gabel sinken.
»Was?«, fragten Christian, Melike, Fabian und Kiki im Chor.
»Robbie bellt ganz sicher nicht, wenn Liam in den Stall kommt, selbst nachts nicht«, sagte ich langsam. »Und Fritzi kennt Liam gut. Er würde mit ihm mitgehen.«
Es war totenstill, dann sprachen alle auf einmal durcheinander. Melike verschaffte sich Gehör.
»Aber Liam hätte das Schloss nicht aufsägen müssen«, gab sie zu bedenken. »Er hat doch Schlüssel.«
»Nicht für das Schloss am Sommergitter«, entgegnete Christian. »Das hat Papa erst gestern neu drangemacht, weil das alte durchgerostet war.«
Wir sahen uns an. Die Ungeheuerlichkeit unserer Vermutung verschlug jedem von uns die Sprache. Liam ein Pferdedieb? Der fröhliche, immer gut gelaunte Liam, der mich getröstet hatte, als ich vor lauter Liebeskummer geweint hatte? Aber plötzlich erinnerte ich mich an die Sache mit dem Schlüsselbund auf der Hessenmeisterschaft in Eschwege, an den Mann, der nachts zu Liam in den Lkw geklettert war. Ich erzählte den anderen davon.
»Und außerdem war Liam neulich bei Tims Vater auf dem Sonnenhof«,
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