Elenium-Triologie
in ihrer Geschichte vieles getan, was sich nicht mit der heutigen Moralvorstellung vereinbaren läßt, Bevier«, sagte Vanion. »Annias sagte sich, daß Aldreas ein schwächlicher König sei und Arissa die tatsächliche Herrschaft ausüben würde, wenn sie sich mit ihm vermählte. Und da Annias Arissa mehr oder weniger unter Kontrolle hatte, würde er es sein, der die eigentlichen Entscheidungen traf. Zunächst schien ihm das zu genügen, doch dann ging sein Ehrgeiz mit ihm durch. Er liebäugelte mit dem Erzprälatenthron in Chyrellos. Das war vor etwa zwanzig Jahren, schätze ich.«
»Wie hat Lycheas das alles erfahren?« fragte Sperber.
»Er besuchte seine Mutter häufig im Kloster«, erwiderte Vanion. »Arissas Reminiszenzen waren weitreichend, und sie war außerordentlich offen zu ihrem Sohn.«
»Das ist ekelhaft!« preßte Bevier hervor.
»Prinzessin Arissa hat eine seltsame Art von Moral«, erklärte Kalten dem jungen Arzier.
»Jedenfalls«, fuhr Vanion fort, »machte Sperbers Vater zu diesem Zeitpunkt seinen Einfluß geltend. Ich kannte ihn sehr gut und seine Moralbegriffe waren bedeutend konventioneller. Was Aldreas und Arissa taten, empörte ihn zutiefst. Aldreas hatte Angst vor Sperbers Vater. Als dieser ihm vorschlug, eine deiranische Prinzessin zu heiraten, erklärte Aldreas sich widerstrebend einverstanden. Das übrige ist bekannt. Arissa bekam einen grauenvollen Wutanfall und verschwand in jenes Freudenhaus unten am Fluß – entschuldigt, Sephrenia.«
»Ich höre solche Dinge nicht zum erstenmal, Vanion. Styrikerinnen sind bei weitem nicht so weltfremd, wie ihr Elenier manchmal glaubt.«
»Jedenfalls blieb Arissa mehrere Wochen in dem Freudenhaus. Als sie endlich gefaßt wurde, blieb Aldreas nichts anderes übrig, als sie in das Kloster zu verbannen.«
»Da ergibt sich eine Frage«, warf Tynian ein. »Wenn man bedenkt, wie lange sie sich in diesem Freudenhaus aufhielt und wie viele Kunden sie dort hatte, wie kann da irgend jemand sicher sein, wer Lycheas gezeugt hat?«
»Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen«, entgegnete Vanion. »Arissa versicherte Lycheas bei einem seiner Besuche, daß sie schon von Annias schwanger gewesen war, ehe sie ins Freudenhaus ging. Aldreas heiratete die deiranische Prinzessin, die nach Ehlanas Geburt im Kindbett starb. Lycheas war damals etwa sechs Monate alt, und Annias versuchte sein möglichstes, Aldreas dazu zu veranlassen, ihn als Sohn anzuerkennen und zum Thronerben zu machen. Das aber war selbst Aldreas zuviel. Er lehnte es strikt ab. Etwa zu dieser Zeit starb Sperbers Vater, und die erbliche Würde des Streiters des Königs ging auf Sperber über. Annias erschrak über Ehlanas Fortschritte, nachdem Sperber ihre Erziehung in die Hand genommen hatte. Als sie acht war, hielt Annias es für dringend erforderlich, Ehlana von ihrem Streiter zu trennen, ehe Sperber sie so willensstark machte, daß er, Annias, nicht mehr imstande sein würde, seinen Einfluß auf sie durchzusetzen. Er überredete also Aldreas, Sperber ins Exil nach Rendor zu schicken. Dann sandte er Martel nach Cippria, mit dem Auftrag, Sperber zu töten, um sicher zu gehen, daß er nicht zurückkommen und Ehlanas Erziehung abschließen würde.«
»Aber es war damals bereits zu spät, nicht wahr?« Sperber lächelte. »Ehlana war schon zu willensstark für ihn.«
»Wie hast du das fertiggebracht, Sperber?« fragte Kalten. »Ein begnadeter Lehrer bist du nie gewesen.«
»Durch Liebe, Kalten«, sagte Sephrenia leise. »Ehlana liebte Sperber schon, als sie noch sehr klein war, und versuchte alles so zu tun, wie er es gewollt hätte.«
Tynian lachte. »Ihr habt es Euch selbst zuzuschreiben, Sperber.«
»Was?«
»Ihr habt eine Frau mit ehernem Willen geschaffen, und jetzt wird sie Euch zwingen, sie zu heiraten – und sie ist stark genug, es zuwege zu bringen.«
»Tynian«, entgegnete Sperber ätzend, »Ihr redet zuviel.« Der große Pandioner war plötzlich gereizt, schon deshalb, weil er insgeheim zugeben mußte, daß der Alzioner wahrscheinlich recht hatte.
»Aber nichts von alldem ist wirklich neu«, stellte Kurik fest. »Jedenfalls reicht es nicht aus, daß Lycheas damit seinen Kopf retten könnte.«
»Es geht noch weiter«, versicherte Vanion ihm. »Ehlana hatte Lycheas solche Angst eingejagt, als sie scheinbar drauf und dran war, ihn hinrichten zu lassen –, daß es nur so aus ihm heraussprudelte. Jedenfalls, nachdem Annias Aldreas gezwungen hatte, Sperber zu verbannen, begann der
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