Elenium-Triologie
bist hart geworden, Kind.«
»Nenne mich nicht mehr ›Kind‹, Sperber! Ich habe an dem Tag, als Aldreas dich nach Rendor verbannte, aufgehört, ein Kind zu sein. Ich durfte Kind sein, solange du hier warst, mich zu beschützen, doch nachdem du fort warst, konnte ich es mir nicht mehr leisten.« Sie setzte sich auf und überkreuzte die Beine. »Der Hof meines Vaters war ein außerordentlich unerfreulicher Ort für mich, Sperber«, sagte sie sehr ernst. »Ich wurde herausgeputzt und bei öffentlichen Auftritten vorgezeigt. Annias' überhebliches Lächeln ist mir nie entgangen.
Wenn ich Zutrauen zu jemandem gewann, wurde er sogleich fortgeschickt – oder ermordet. So sah ich mich gezwungen, die Kammerzofen bei ihrem hohlköpfigen Klatsch zu belauschen. Wenn sie unter sich sind, verhehlen sie ihre Lüsternheit nicht. Ich habe eine Zeitlang sogar eine Liste geführt – du hast mich ja gelehrt, methodisch zu sein. Du kannst dir nicht vorstellen, was im Dienstbotenquartier vorgeht! Nach meiner Liste hat eine der nimmersatten Zofen mit ihren Eroberungen sogar Arissa fast übertroffen. Ihre Bereitwilligkeit war legendär. Wenn ich manchmal ›weltklug‹ bin – hast du es nicht so genannt? – mußt du die Schuld den Erziehern geben, die man mir vorsetzte, nachdem du nicht mehr hier warst. Schon bald darauf begann ich mich – da selbst ein Hauch von Zuneigung zu den Damen oder Herren am Hof sogleich mit deren Entfernung geahndet wurde – auf die Dienstboten zu verlassen. Das ist mir zur Gewohnheit geworden, und es hat sich als sehr günstig für mich erwiesen. Im Schloß geschieht nichts, das die Dienstboten nicht wissen, und ich erfuhr es immer recht schnell. Das half mir, mich vor meinen Feinden zu schützen – und jeder am Hof war mein Feind, außer Lenda. Es war keine schöne Kindheit, Sperber, aber es lehrte mich mehr als müßige Stunden mit Reifenspiel und vergeudete Zuneigung zu Puppen oder Hündchen. Wenn ich hart zu sein scheine, liegt es daran, daß ich in feindseliger Umgebung aufwuchs. Es wird vielleicht Jahre dauern, die scharfen Kanten abzuschleifen, aber ich werde deine Bemühungen in dieser Hinsicht zu würdigen wissen.« Sie lächelte ihn vergnügt an, doch ihre Augen verrieten noch immer ein bißchen Schmerz und eine Spur Herausforderung.
»Meine arme Ehlana«, flüsterte er mitfühlend.
»Arm? Nein, mein geliebter Sperber. Jetzt habe ich ja dich, und das macht mich zur reichsten Frau der Welt.«
»Es gibt da ein Problem, Ehlana«, sagte er ernst.
»Ich sehe keines. Jetzt nicht mehr.«
»Ich fürchte, du hast es mißverstanden, als ich dir versehentlich meinen Ring gab.« Er bedauerte es sofort. Sie riß die Augen auf, als hätte er sie geohrfeigt. »Bitte, verstehe meine Worte nicht falsch«, fuhr er hastig fort. »Ich bin ganz einfach zu alt für dich.«
»Es ist mir egal, wie alt du bist«, entgegnete sie trotzig. »Du gehörst mir, Sperber, und ich werde dich niemals aufgeben!« Ihre Stimme war so voll Wildheit, daß er fast zurückgezuckt wäre. »Also gut. Nun, da du deinem Pflichtgefühl Genüge getan hast, werden wir nie mehr davon sprechen. Wann, denkst du, sollte unsere Vermählung stattfinden – bevor oder nachdem du mit Vanion nach Chyrellos reist und Annias tötest? Ich jedenfalls kann es kaum noch erwarten. Ich habe so allerlei über die Dinge gehört, die zwischen Mann und Frau passieren, wenn sie allein sind, und ich bin wirklich sehr, sehr neugierig.«
Selten war Sperber das Blut so in den Kopf gestiegen wie jetzt.
5
»Schläft sie?« fragte Vanion als Sperber aus Ehlanas Schlafgemach zurückkehrte.
Sperber nickte. »Hat Lycheas euch irgend etwas Brauchbares erzählt?«
»So einiges – das heißt, er hat hauptsächlich bestätigt, was wir bereits vermutet hatten«, erwiderte der Hochmeister. Sein Gesicht wirkte sorgenvoll und immer noch war ihm anzumerken, welche Kraft es ihn gekostet hatte, die Schwerter der gefallenen Ritter zu tragen. »Graf Lenda«, fragte er, »sind die Gemächer der Königin vor Lauschern sicher? Ich möchte auf keinen Fall, daß etwas von dem, was Lycheas uns erzählt hat, an falsche Ohren gelangt.«
»Sie sind ausreichend vor Lauschern geschützt«, beruhigte ihn Lenda. »Außerdem würde die Anwesenheit Eurer Ritter auf dem Gang bestimmt jeden von ungebührlicher Neugier abhalten.«
Kalten und Ulath traten mit zufriedener Miene ein. »Lycheas hat heute einen sehr schlechten Tag«, bemerkte Kalten grinsend. »Als wir ihn zum Verlies
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