Elenium-Triologie
daran dachte, daß der jungen Frau etwas zugestoßen sein könnte, an die er sich als bleiches, wunderschönes kleines Mädchen mit ernsten grauen Augen erinnerte, dessen Kindheit er miterlebt und das er auf seltsame Weise geliebt hatte, obwohl es erst acht gewesen war, als König Aldreas Sperber ins Exil nach Rendor verbannt hatte.
»Nein«, antwortete Kurik, »nicht tot, obwohl sie es genausogut sein könnte.« Er hob das große, rauhe Badetuch. »Steig aus der Wanne. Ich erzähle es dir, während du ißt.«
Sperber nickte und stand auf. Kurik rubbelte ihn trocken, dann half er ihm in den weichen Morgenrock. Auf dem Tisch in der Stube warteten eine Platte mit dampfenden Bratenscheiben, die in Soße schwammen, ein halber Laib dunkles Bauernbrot, ein Riesenstück Käse und ein Krug gekühlte Milch. »Iß!« befahl Kurik.
»Was war hier los?« fragte Sperber heftig, als er sich an den Tisch setzte und zu essen anfing. Er staunte selbst, als er bemerkte, welch gewaltigen Hunger er mit einemmal hatte. »Fang ganz am Anfang an!«
»Na gut.« Kurik zog den Dolch aus der Scheide und schnitt dicke Scheiben vom Laib. »Du weißt, daß die Pandioner nach deiner Abreise im Mutterhaus zu Demos bleiben mußten?«
Sperber nickte. »Ich hörte es. König Aldreas mochte uns nie sehr.«
»Das war die Schuld deines Vaters, Sperber. Aldreas mochte seine Schwester sehr , und dann zwang ihn dein Vater, eine andere zu heiraten. Das trug nicht dazu bei, seine Gefühle für den pandionischen Orden zu heben.«
»Kurik«, rügte Sperber, »so spricht man nicht vom König.«
Kurik zuckte die Schultern. »Er lebt nicht mehr, also kann es ihn nicht kränken, und was er für seine Schwester empfand weiß doch jeder. Die Diener im Schloß ließen sich von jedem bestechen, der sehen wollte, wie Arissa splitternackt zum Schlafgemach ihres Bruders ging. Aldreas war ein schwacher König, Sperber. Er stand völlig unter dem Einfluß von Arissa und dem Primas Annias. Nachdem die Pandioner in Demos festgesetzt worden waren, hatten Annias und seine Unterpriester die Dinge ziemlich in der Hand. Du kannst froh sein, daß du während dieser Jahre nicht hier warst.«
»Möglich«, brummte Sperber. »Woran ist Aldreas gestorben?«
»An der Fallsucht, behauptet man. Ich glaube eher, daß ihn die Freudenmädchen überanstrengten, die ihm Annias nach dem Tod seiner Gemahlin heimlich ins Schloß schleppte.«
»Kurik, du bist ja schlimmer als eine Klatschbase!«
»Ich weiß«, gab der Knappe gleichmütig zu. »Das ist eines meiner Laster.«
»Und dann wurde Ehlana zur Königin gekrönt?«
»Richtig. Von da an änderten sich die Dinge. Annias war überzeugt gewesen, daß er sie beherrschen könnte wie zuvor Aldreas, doch da hatte er sich getäuscht. Sie rief den Hochmeister Vanion aus dem Mutterhaus in Demos zu sich und ernannte ihn zu ihrem persönlichen Berater. Danach befahl sie Annias, sich bereit zu machen, in ein Kloster zu gehen, um über die für einen Kirchenmann schicklichen Tugenden zu meditieren. Annias kochte natürlich vor Wut und begann sofort Komplotte zu schmieden. Ständig waren Boten zwischen hier und der Abtei unterwegs, in die Prinzessin Arissa gesteckt worden war. Arissa und Annias sind alte Freunde und hatten gewisse gemeinsame Interessen. Jedenfalls schlug Annias vor, Ehlana solle sich mit ihrem unehelichen Vetter Lycheas vermählen, doch sie lachte dem Primas ins Gesicht.«
»Das kann ich mir bei ihr gut vorstellen.« Sperber lächelte. »Ich habe sie selbst erzogen und sie gelehrt, was sich schickt. An welcher Krankheit leidet sie denn?«
»Offenbar der gleichen, an der ihr Vater starb. Sie hatte einen Anfall und erlangte ihr Bewußtsein nicht wieder. Die Hofärzte sagten alle, daß sie die Woche nicht überleben würde, doch da griff Vanion ein. Er erschien mit Sephrenia und elf anderen Pandionern am Hof – alle in voller Rüstung und mit geschlossenen Visieren. Sie wiesen die Ärzte und das Gefolge der Königin aus dem Krankengemach, hoben Ehlana aus dem Bett, kleideten sie in ihr Throngewand und setzten die Krone auf ihr Haupt. Dann trugen sie sie in den Audienzsaal, setzten sie auf den Thron und versperrten die Tür. Niemand weiß, was sie in dem Saal gemacht haben, doch als sie die Tür wieder öffneten, saß Ehlana in Kristall gehüllt auf dem Thron.«
»Wa-as?« rief Sperber.
»Es ist so klar wie Glas. Man kann jede Sommersprosse auf ihrem Näschen sehen, aber man kann sie nicht berühren. Der Kristall ist härter
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