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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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»Weiß ich nich'. Das weiß ich nich'. Jedenfalls is' es eine miese Sache. Wenn ihr's wissen wollt, ihr habt den besten Feldwebel vom ganzen Standort. Er is' zu verdammt gut, das is' das Problem. Zu gut, als daß ein unfähiger Unterleutnant damit fertig wird. In der Armee zahlt es sich nie aus, so gut zu sein.«
     »Das stimmt«, sagte D'Allessandro ernst. »Das zahlt sich nie aus.«
     »Wirklich?« fragte Schacht grinsend. »Ist das so, Grup- penführer? Erklär's uns, Gruppenführer.« Und die Unter- haltung an unserem Tisch degenerierte zu Geflachse. Der Schriftführer schlenderte davon.
     Reece mußte zur gleichen Zeit davon erfahren haben wie wir; jedenfalls veränderte sich sein Verhalten an die- sem Wochenende plötzlich. Er fuhr in die Stadt mit dem angespannten Ausdruck eines Mannes, der vorhatte, sich systematisch zu betrinken, und am Montagmorgen ver- paßte er fast das Wecken. Montag morgens war er immer verkatert, aber das hatte bislang nie seine Dienstfähigkeit beeinträchtigt; er war immer dagewesen, um uns mit zor- nigen Befehlen aus den Betten zu jagen und hinauszutrei- ben. Aber diesmal herrschte eine merkwürdige Stille in den Unterkünften, während wir uns anzogen. »He, er ist nicht da«, rief jemand von der Tür zu Reeces Zimmer neben der Treppe. »Reece ist nicht da.« Die Gruppen- führer ergriffen bewundernswert rasch die Initiative. Sie drängten uns und spornten uns an, bis wir alle nach draußen stolperten und im Dunkeln Aufstellung bezo- gen, fast genauso schnell, wie wir es unter Reeces Auf- sicht getan hätten. Aber der in dieser Nacht diensthabende Offizier hatte auf seiner Runde Reeces Abwesenheit be- reits bemerkt und war losgelaufen, um den Leutnant zu wecken.
     Die Offiziere der Kompanie erschienen selten zum Wecken, vor allem nicht montags, aber als wir jetzt füh- rerlos dastanden, kam unser Leutnant um die Ecke der Unterkunft gelaufen. Im Schein der Gebäude sahen wir, daß sein Hemd nur halb zugeknöpft und sein Haar zer- zaust war; sein Gesicht war vom Schlaf verquollen, und er schien sehr verwirrt. Im Lauf noch rief er: »Also, Män- ner, ähm ...«
     Alle Gruppenführer holten tief Luft, um uns Haltung annehmen zu lassen, kamen jedoch über ein heiseres »Aach –« nicht hinaus, als Reece aus dem Dämmerlicht vor den Leutnant trat und sagte: »Zug! Aach – tung! Da war er, ein bißchen atemlos vom Laufen, noch immer das zerknitterte Hemd vom Vorabend auf dem Leib, aber er führte eindeutig den Befehl. Er ließ uns gruppenweise zum Appell antreten; dann hob er übertrieben steif ein Bein, um auf Berufssoldatenweise eine Kehrtwendung zu machen, führte die Drehung makellos aus, stand mit dem Gesicht dem Leutnant zugewandt und salutierte. »Alle Rekruten angetreten, Sir.«
     Der Leutnant war zu verblüfft, um etwas anderes zu tun, als ebenfalls zu salutieren, schlampig, und zu mur- meln: »In Ordnung, Feldwebel!« Ich vermute, daß er nicht einmal »Sehen Sie zu, daß es nicht wieder vor- kommt« sagen konnte, denn schließlich war nicht viel vorgefallen, außer daß er zum Wecken aufgestanden war. Und wahrscheinlich verbrachte er den Rest des Tages damit, sich zu fragen, ob er Reece hätte maßregeln sollen, weil er keine Uniform getragen hatte; er machte den Anschein, als quälte ihn diese Frage bereits jetzt, als er sich umdrehte, um in sein Quartier zurückzukehren. Wir durften wegtreten und brachen in schallendes Ge- lächter aus, das nicht zu hören er vorgab.
     Aber Feldwebel Reece verdarb uns bald den Spaß. Er bedankte sich nicht einmal bei den Gruppenführern, weil sie ihm aus der Patsche geholfen hatten, und den ganzen Tag über nörgelte er auf die kleinliche Weise an uns herum, von der wir geglaubt hatten, wir hätten sie hinter uns gelassen. Auf dem Exerzierplatz nahm er den kleinen Fogarty in die Mangel und sagte: »Wann hast du dich zum letzten Mal rasiert?«
     Wie in vielen Gesichtern wuchs auch in Fogartys nur ein blasser Flaum, der kaum rasiert werden mußte. »Vor ungefähr einer Woche«, sagte er.
     »Vor ungefähr einer Woche, Fellwebel«, korrigierte Reece ihn.
     »Vor ungefähr einer Woche, Feldwebel«, sagte Fogarty.
     Reece schürzte die dünnen Lippen verächtlich. »Du
    siehst aus wie eine räudige alte Straßenhündin«, sagte er. »Weißt du nicht, daß du dich jeden Tag rasieren sollst?«
     »Ich habe nichts, was ich jeden Tag rasieren könnte.«
     »Habe nichts, was ich jeden Tag rasieren könnte, Fell- webel.«
     Fogarty

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