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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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zweimal gewährte er uns das großartige Kompliment eines Zwin- kerns hinter dem Rücken des Leutnants, aber nur ein- oder zweimal. Wir mochten seinen Gang und seinen blinzelnden Blick nachahmen, unsere hellbraunen Hem- den so hauteng schneidern lassen wie seine und sogar bestimmte seiner sprachlichen Gewohnheiten überneh- men, darunter seinen Südstaatenakzent, aber wir konn- ten ihn nie als Kumpel betrachten. Er war einfach nicht der Typ. Er wollte nicht mehr als formalen Gehorsam während der Dienststunden, und wir kannten ihn kaum. An den seltenen Abenden, wenn er im Lager blieb, saß er entweder aliein oder in der unnahbaren Gesellschaft eines und zweier Offiziere, die ebenso schweigsam waren wie er, und trank Bier im PX. An den meisten Abenden und an den Wochenenden verschwand er in die Stadt. Ich bin überzeugt, keiner von uns erwartete, daß er seine Freizeit mit uns verbrachte – dieser Gedanke wäre uns tatsächlich nie gekommen –, aber der kleinste Einblick in sein Privatleben hätte geholfen. Wenn er zum Beispiel auch nur einmal mit uns in Erinnerungen an sein Zu- hause geschwelgt oder uns von seinen Gesprächen mit seinen FX-Freunden erzählt oder eine Bar in der Stadt genannt hätte, die er mochte, dann, so glaube ich, wären wir ergreifend dankbar gewesen, aber er tat es nie. Und was es noch schlimmer machte war, daß wir im Gegen- satz zu ihm kein wirkliches Leben außerhalb der täg- lichen Routine hatten. Die Stadt war ein kleines staubiges Labyrinth aus Holzhäusern und Neonschildern, in dem es von Soldaten wimmelte, und die meisten von uns fühl- ten sich dort nur einsam, so prahlerisch wir auch durch die Straßen stolzieren mochten. Die Stadt war nicht groß genug, um lange herumzulaufen; was für Lustbarkeiten auch immer sie bot, sie blieben das Geheimnis derjeni- gen, die sie vor uns entdeckt hatten, und wenn man jung und schüchtern war und nicht genau wußte, wonach man suchte, war sie ein trister Ort. Man konnte im USO (United Service Organization) herumhängen und vielleicht mit einem Mädchen tanzen, das seit langem gegen tol- patschige Annäherungsversuche abgehärtet war; man konnte sich mit den faden Vergnügungen der Wasser- melonenstände und Spielsalons zufriedengeben oder in Gruppen ziellos durch die dunklen Seitenstraßen strei- fen, wo man in der Regel nur auf andere ziellos umher- streifende Gruppen von Soldaten traf. »Also, was willst du unternehmen'?« fragten wir einander ungeduldig, und die Antwort lautete stets: »Ach, ich weiß nich'. Ein biß- chen rumlaufen.« Normalerweise tranken wir genug Bier, um betrunken zu sein oder uns auf der Rückfahrt zum Lager im Bus zu übergeben, und wir waren dankbar für das Versprechen eines geordneten neuen Tages.
     Insofern ist es wahrscheinlich keine Überraschung, daß sich unser Gefühlsleben nach innen wandte. Wie fru- strierte Ehefrauen in den Vororten lebten wir von der Un- zufriedenheit der anderen; wir unterteilten uns in böse kleine Cliquen und weiter in eifersüchtig wechselnde Freundespaare, und wir streckten unsere Stumpfsinnig- keit mit Klatsch. Die meisten Klatschgeschichten hatten mit uns zu tun; für Neuigkeiten aus der Welt außerhalb des Zugs waren wir vor allem auf den Schriftführer der Kompanie angewiesen, einen freundlichen, seine Tätig- keit im Sitzen ausübenden Mann, der gern Gerüchte ver- breitete, während er vorsichtig eine Tasse Kaffee balan- cierend in der Messe von Tisch zu Tisch schlenderte. »Ich habe es in der Personalabteilung gehört«, sagte er als Vorwort zu einem unwahrscheinlichen Gerücht über ab- wesende Offiziere (der Oberst hatte Syphilis; der Kom- mandant des Militärgefängnisses hatte sich vor einem Kampfbefehl gedrückt; die Ausbildung wurde verkürzt, und wir müßten in einem Monat nach Übersee). Aber an einem Samstagmittag kam er mit etwas Naheliegen- derem; er hatte es in der Schreibstube seiner eigenen Kompanie aufgeschnappt, und es klang plausibel. Seit Wochen, so erzählte er uns, versuche der pummelige Leutnant, Reece versetzen zu lassen; jetzt scheine es geplant zu werden, und es sei gut möglich, daß die näch- ste Woche für Reece die letzte als Zugfeldwebel sei. »Seine Tage sind gezählt«, sagte der Schriftführer geheimnistue- risch.
     »Was soll das heißen, versetzt?« fragte D'Allessandro. »Wohin versetzt?«
     »Nicht so laut«, sagte der Schriftführer und blickte beunruhigt zum Offiziers tisch, an dem sich Reece gleich- mütig über sein Essen neigte.

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