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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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zurückkamen, stellten wir fest, daß er seinen Sack bereits gepackt hatte und ausgezogen war. Wir konnten ihm nicht einmal mehr die Hand schütteln.
    Unser neuer Feldwebel war am nächsten Morgen da, ein untersetzter vergnügter Taxifahrer aus Queens, der darauf bestand, daß wir ihn beim Vornamen nannten, der Ruby lautete. Er war durch und durch ein guter Kumpel. Er ließ uns bei jeder nur möglichen Gelegenheit an die Lister- Säcke und vertraute uns kichernd an, daß er sich von einem Freund im PX seine Feldflasche oft mit Coca-Cola und zerstoßenem Eis füllen ließ. Er war ein nachlässiger Ausbilder, und unterwegs mußten wir nie zählen, außer wenn wir an einem Offizier vorbeimarschierten, und er ließ uns nie im Chor sprechen oder singen außer eine holprige Version von »Give My Regards to Broadway«, das er voller Inbrunst anstimmte, obwohl er den Text nicht vollständig kannte.
     Es dauerte eine Weile, bis wir uns nach Reece an ihn gewöhnt hatten. Als der Leutnant einmal in unsere Unterkunft kam, um eine seiner kleinen Reden über Fair- neß zu halten und wie üblich mit »Also gut, Feldwebel« endete, steckte Ruby die Daumen in den Patronengurt, stand mit hängenden Schultern da und sagte: »Jungs, ihr habt hoffentlich alle aufmerksam zugehört, was der Leut- nant gesagt hat. Ich glaube, ich kann für euch alle und für mich sprechen und sagen, Leutnant, wir werden fair sein, denn das hier is' ein Zug, der einen guten Kumpel erkennt, wenn er einen sieht.«
     Von dieser kleinen Ansprache so aufgeregt wie von Reeces wortloser Verachtung, blieb dem Leutnant nichts anderes übrig, als zu erröten und zu stammeln: »Also, ähm ... danke, Feldwebel. Ich glaube, das ist alles. Weiter- machen.« Und kaum war der Leutnant außer Sichtweite, gaben wir alle laute Würgegeräusche von uns, hielten uns die Nase zu und machten Schaufelbewegungen, als stün- den wir knietief im Dung. »Mensch, Ruby«, rief Schacht, »warum zum Teufel schleimst du dich so ein?«
     Ruby zog die Schultern hoch und streckte die Hände aus, schüttelte sich vor gutmütigem Lachen. »Um am Leben zu bleiben«, sagte er. »Um am Leben zu bleiben, was glaubt ihr denn?« Und er verteidigte sich heftig über den wachsenden Lärm unseres Spotts hinweg. »Was is' los?« wollte er wissen. »Was is' los? Meint ihr etwa, er verhält sich dem Hauptmann gegenüber anders? Und der Hauptmann gegenüber dem Batallionskommandanten? Hört mal zu, ihr Schlaumeier, hört zu. Alle tun es! Alle tun es. Wie zum Teufel glaubt ihr, daß die Armee fimktio- niert?« Schließlich tat er das Thema mit taxifahrerischer Nonchalance ab. »Okay, okay, bleibt bei der Armee, und ihr werdet schon sehen. Wartet nur, bis ihr Jungs so lang bei der Armee seid wie ich, dann reden wir weiter.« Aber zu diesem Zeitpunkt lachten wir schon mit ihm; er hatte unsere Herzen erobert.
     Abends scharten wir uns im PX um ihn, während er hinter einer Batterie Bierflaschen saß, mit seinen aus- drucksstarken Händen gestikulierte und die entspannte zivile Sprache sprach, die wir alle verstanden. »Ah, ich hab' einen Schwager, der is' ein wirklich schlauer Kerl. Wißt ihr, wie er aus der Armee rausgekommen is'? Wißt ihr, wie er rausgekommen is'?« Und es folgte eine kom- plizierte unwahrscheinliche Geschichte von Verrat, auf die wir wie erwartet mit Lachen reagierten. »Doch!« be- harrte Ruby lachend. »Glaubt ihr mir etwa nich'? Glaubt ihr mir nich'? Und wenn wir schon von schlau reden, ich kenne noch einen Kerl – ich sag' euch, der Kerl ist wirk- lich schlau. Wißt ihr, wie der rauskam?«
     Manchmal schwankten wir in unserer Loyalität, aber nie für lange. Eines Abends saß eine Gruppe von uns auf der Treppe, vertrödelte die Zeit mit Zigaretten, bevor wir zum PX gingen, und diskutierten ausführlich – als woll- ten wir uns selbst überzeugen – die vielen Dinge, die das Leben mit Ruby so angenehm machten. »Na ja«, sagte der kleine Fogarty, »aber ich weiß nich'. Mit Ruby hat es nicht viel Soldatisches mehr.«
     Es war das zweite Mal, daß Fogarty uns in eine momen- tane Verwirrung stürzte, und zum zweiten Mal klärte D'Allessandro die Atmosphäre. »Na und?« sagte er und zuckte die Achseln. »Wer will schon Soldat sein?«
     Das traf es auf den Punkt. Wir konnten jetzt auf den Boden spucken und zum PX schlendern, mit hängenden Schultern, erleichtert, zuversichtlich, daß Feldwebel Reece uns nicht wieder heimsuchen würde. Wer wollte schon Soldat sein? »Ich nicht«,

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