Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
Vom Netzwerk:
so gesehen hatte.
     »Walt?«
     Die Tür zu seinem Büroabteil schwang auf, und George Crowell stand da und blickte unbehaglich drein. »Kön- nen Sie kurz in mein Büro kommen?«
     »Gut, George,« Und Walter folgte ihm aus seinem Abteil durch das Großraumbüro, spürte die vielen Blicke in seinem Rücken. Würde behalten, sagte er sich. Wichtig war, Würde zu behalten. Dann schloß sich die Tür hinter ihnen, und die beiden waren allein in der Stille von Cro- wells mit Teppichboden ausgelegtem Büro. In der Ferne, einundzwanzig Stockwerke weiter unten, wurde gehupt; die einzigen anderen Geräusche waren ihr Atem, das Knarzen von Crowells Schuhen, als er zu seinem Schreib- tisch ging, und das Quietschen des Drehstuhls, als er sich setzte. »Setzen Sie sich, Walt«, sagte er. »Zigarette?«
     »Nein, danke.« Walter setzte sich und schlang die Fin- ger zwischen den Knien fest ineinander.
     Crowell schloß die Zigarettenschachtel, ohne selbst eine zu nehmen, schob sie beiseite, neigte sich vor und legte beide Hände flach auf die Glasplatte seines Schreib- tischs. »Walt, ich möchte nicht um den heißen Brei her- umreden«, sagte er, und der letzte Funken Hoffnung er- losch. Das Komische war, daß es dennoch ein Schock war. »Mr. Harvey und ich haben seit einiger Zeit das Gefühl, daß unsere Arbeit hier nicht so recht Anklang fin- det bei Ihnen, und wir sind beide widerstrebend zu dem Schluß gekommen, daß es am besten wäre, in Ihrem Interesse und in unserem, Sie gehen zu lassen. Das ist«, fügte er rasch hinzu, »nicht gegen Sie persönlich gemeint, Walt. Wir haben hier eine hochspezialisierte Arbeit, und wir können nicht von jedem erwarten, daß er immer auf dem neuesten Stand ist. Besonders in Ihrem Fall sind wir wirklich der Meinung, daß Sie glücklicher wären in einer Firma, die besser zu Ihren ... Fähigkeiten paßt.«
     Crowell lehnte sich zurück, und als er die Hände hob, blieben auf dem Glas zwei feuchte graue Abdrücke zu- rück, wie die Hände eines Skeletts. Walter starrte sie fas- ziniert an, während sie schrumpften und sich auflösten.
     »Nun«, sagte er und blickte auf. »Sie haben das sehr freundlich ausgedrückt, George. Danke.«
     Crowells Lippen verzogen sich zu einem bedauernden Pfundskerllächeln. »Es tut mir schrecklich leid«, sagte er. »So etwas passiert einfach.« Und er begann, an den Knäufen seiner Schreibtischschubladen herumzufummeln, sichtlich erleichtert, daß das Schlimmste vorbei war. »Also«, sagte er, »wir haben einen Scheck ausgestellt über Ihr Gehalt bis Ende nächsten Monats. Damit haben Sie etwas – eine Abfindung sozusagen –, womit Sie über die Zeit hinwegkommen, bis Sie etwas finden.« Er reichte ihm einen länglichen Umschlag.
     »Das ist sehr großzügig«, sagte Walter. Dann herrschte Schweigen, und Walter wurde klar, daß er es brechen mußte. Er stand auf. »In Ordnung, George. Ich will Sie nicht länger aufhalten.«
     Crowell stand rasch auf und ging um den Schreibtisch, beide Hände ausgestreckt – eine, um Walter die Hand zu schütteln, die andere, um sie ihm auf die Schulter zu le- gen, als sie zur Tür gingen. Diese Geste, zugleich freundlich und demütigend, schnürte Walter kurz die Kehle zu, und einen schrecklichen Augenblick lang dachte er, er würde weinen. »Also, mein Junge«, sagte George, »viel Glück.« »Danke«, sagte er und war so erleichtert über den festen Klang seiner Stimme, daß er es lächelnd wiederholte. »Danke. Auf Wiedersehen, George.«
     Die Entfernung zu seinem Büroabteil betrug ungefähr fünfzehn Meter, und Walter Henderson legte sie mit Hal- tung zurück. Er war sich bewußt, wie adrett und gerade seine gestrafften Schultern in Croweils Augen aussehen mußten; und während er an den Schreibtischen und Kol- legen vorbeiging, die entweder zaghaft zu ihm aufblick- ten oder wirkten, als ob sie es gern tun würden, war er sich zudem jeder feinen Regung seines gut kontrollierten Mienenspiels bewußt. Es war wie eine Szene in einem Film. Die Kamera hatte zuerst Crowells Standpunkt ein- genommen und war dann zurückgefahren, um das ge- samte Büro als Rahmen für die Gestalt Walters auf ihrem einsamen würdevollen Gang einzusetzen; jetzt hielt die Kamera in einer langen Nahaufnahme auf ihn, schwenkte kurz auf die sich wendenden Köpfe seiner Kollegen (Joe Collins, der besorgt dreinblickte, Fred Holmes, der ver- suchte, sich nicht zu freuen) und nahm dann Walters Per- spektive ein, als er das unscheinbare,

Weitere Kostenlose Bücher