Elf Arten der Einsamkeit - Short stories
Wagen hing warmer Whiskeydunst um die kirsch- roten Glühpünktchen der Zigaretten, und Irene rief mit schriller Stimme: »Puuh! Beeil dich mal 'n bißchen, und mach die Tür zu!«
Kaum war die Tür zugefallen, zog Jack sie an sich und sagte leise mit gaumiger Stimme: »Hallo, Süße.«
Sie hatten alle einen kleinen Schwips; sogar Marty war in gehobener Stimmung. »Alles festhalten!« rief er, als sie mit Schwung das Verwaltungsgebäude umkurvten, am Christbaum vorbeirauschten, in die Gerade einscher- ten und mit wachsendem Tempo aufs Eingangstor zufuh- ren. »Alles festhalten!«
Irenes Gesicht schwebte über die Rücklehne des Beifah- rersitzes und begann loszuschnattern. »Myra, Herzchen, hör zu, wir haben da an der Straße 'ne wunderhübsche kleine Kneipe aufgetan, so was wie 'ne Raststätte, bloß viel billiger und so. Und da fahren wir jetzt mit dir auf 'nen kleinen Drink noch mal hin, okay?«
»Klar«, sagte Myra, »gern.«
»Weil, ich mein', wir haben dir eh schon 'n guten Zak-
ken voraus ... jedenfalls möcht' ich, daß du die Kneipe mal kennenlernst... Marty, fahr langsamer!« Sie lachte. »Also ehrlich, bei jedem andren Fahrer, der so viel intus hat wie er, würd' ich Todesängste ausstehn. Aber beim ollen Marty braucht man sich keine Sorgen zu machen. Marty ist der beste Fahrer der Welt, ob nüchtern oder besoffen, das ist mir völlig egal.«
Aber die beiden hörten überhaupt nicht zu. In einen Kuß versunken, schob Jack ihr die Hand unter den Man- tel und ließ sie routiniert zwischen und unter die übrigen Schichten gleiten, bis er an ihrer Brust angelangt war. »Bist schon total verrückt nach mir, Süße?« murmelte er ihr zwischen die Lippen. »Hast noch Lust auf 'nen klei- nen Drink?«
Ihre Hände strichen ihm über den massigen Rücken und krallten sich daran fest. Dann drehte er sie so zu sich hin, daß er mit der anderen Hand heimlich an ihrem Schenkel hinaufpirschen konnte. »Klar«, flüsterte sie, »aber bloß einen, und danach ... «
»Okay, Süße, okay.«
»... und danach, Schatz, gehn wir gleich nach Hause.«
Ein Masochist
Als Walter Henderson neun Jahre alt war, glaubte er eine Weile lang, daß nichts romantischer war, als tot umzufal- len, und ein paar seiner Freunde glaubten es ebenfalls. Da sie fanden, daß der einzig wahrhaft lohnende Teil eines Räuber-und-Gendarm-Spiels der Augenblick war, wenn sie vorgaben, erschossen zu werden, sich ans Herz faß- ten, die Pistole fallen ließen und zu Boden sanken, ließen sie den Rest bald weg – die ermüdende Aufgabe, zwei Gruppen zu bilden und herumzuschleichen – und redu- zierten das Spiel auf das Wesentliche. Es wurde zu einer Sache von individuellen Auftritten, nahezu zu einer Kunst. Einer von ihnen lief auf bühnengerechte Weise über die Kuppe eines Hügels und wurde zu einem bestimmten Zeitpunkt aus dem Hinterhalt angegriffen: ein gleichzei- tiges Zucken der erhobenen Spielzeugpistolen und das vielstimmige kehlige Stakkato – eine Art heiser geflüster- tes »Peng-peng-peng!« –, mit dem kleine Jungs das Geräusch von Schüssen simulieren. Daraufhin blieb der Darsteller abrupt stehen, drehte sich um, verharrte einen Augen- blick lang in einer Haltung anmutiger Agonie, stürzte dann zu Boden und rollte in einem Wirbel aus Armen und Beinen und in einer großartigen Staubwolke den Hügel hinunter, an dessen Fuß er schließlich hingestreckt liegenblieb, einer verkrumpelten Leiche gleich. Wenn er aufstand und seine Kleidung säuberte, kritisierten die anderen seinen Auftritt (»Ziemlich gut« oder »Zu steif« oder »Hat nicht echt ausgesehen«), und dann war der nächste an der Reihe. Aus mehr bestand das Spiel nicht, aber Walter Henderson liebte es. Er war ein schmächtiger Junge mit schlechter motorischer Koordination, und das Spiel war die einzige annäherungsweise sportliche Aktivi- tät, bei der er sich auszeichnete. Niemand konnte es mit seiner Hingabe aufnehmen, mit der er seinen schlaffen Körper den Abhang hinunterrollen ließ, und er schwelgte in dem geringen Beifall, den er bekam. Nachdem ältere Jungen sie ausgelacht hatten, begann das Spiel die ande- ren schließlich zu langweilen; Walter wandte sich wider- willig zuträglicheren Spielen zu, und bald hatte er es ver- gessen.
Aber er hatte Anlaß, sich lebhaft daran zu erinnern, eines Nachmittags im Mai fast fünfundzwanzig Jahre später, in einem Bürogebäude in der Lexington Avenue, während er an seinem Schreibtisch saß, vorgab zu
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