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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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Hai, oder man wehrt sich nicht und läßt sich bei lebendigem Leib von den Haien fressen – so ist die Welt. Ich bin der Typ Mann, der raus- geht und mit den Haien kämpft. Warum? Ich weiß nicht, warum. Das ist verrückt? Okay.«
     »Warte mal«, sagte ich. Und ich versuchte ihm zu erklä- ren, daß ich überhaupt nichts dagegen hätte, wenn er sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen wolle, falls es das sei, was er vorhabe; nur hielt ich den Arbeiterführer für den dafür am wenigsten geeigneten Ort der Welt.
     Aber sein Achselzucken gab mir zu verstehen, daß ich Ausflüchte machte. »Na und?« fragte er. »Es ist doch eine Zeitung, oder? Und ich bin Schriftsteller. Und wozu ist ein Schriftsteller gut, wenn er nicht gedruckt wird? Hör mal.« Er hob eine Gesäßhälfte und plazierte sie auf der Kante meines Schreibtischs – er war zu klein, um die Bewegung mit Eleganz auszuführen, aber die Kraft seines Arguments half ihm dabei. »Hör mal, McCabe. Du bist noch jung. Ich will dir mal was sagen. Weißt du, wie viele Bücher ich schon geschrieben habe?« Und jetzt kamen seine Hände ins Spiel, was sie früher oder später immer taten. Er stieß mir die dicken Fäuste unter die Nase und schüttelte sie einen Moment, bevor sie sich zu einem Dickicht steifer bebender Finger entfalteten – nur der Daumen einer Hand blieb eingezogen. »Neun«, sagte er, und seine Hände fielen schlaff auf seinen Oberschenkel, wo sie sich ausruhten, bis er sie wieder brauchte. »Neun. Romane, Philosophie, politische Theorie – die ganze Band- breite. Und nicht eins davon veröffentlicht. Glaub mir, ich kenn' mich aus.«
     »Das glaube ich«, sagte ich.
     »Und dann habe ich mich hingesetzt und gedacht: Wie sieht die Lösung aus? Und ich dachte: Das Problem mit meinen Büchern ist, daß die Wahrheit drinsteht. Und die Wahrheit ist was Komisches, McCabe. Die Leute wollen sie zwar lesen, aber sie wollen sie nur lesen, wenn sie von jemand kommt, von dem sie den Namen schon kennen. Stimmt's? Also gut. Ich denk' mir also, wenn ich die Bü- cher schreiben will, muß ich mir erst mal einen Namen machen. Das ist jedes Opfer wert. Das ist der einzige Weg. Weißt du was, McCabe? Für das letzte Buch, das ich geschrieben hab', hab' ich zwei Jahre gebraucht.« Zwei Finger streckten sich, um das Gesagte zu unterstreichen, und entspannten sich wieder. »Zwei Jahre, jeden Abend vier, fünf Stunden Arbeit und am Wochenende den gan- zen Tag. Und du hättest die Scheiße sehen sollen, die von den Verlegern kam. Von jedem verdammten Verleger in der Stadt. Meine Frau hat geweint. Sie sagt: ›Aber warum, Leon? Warum?‹« An dieser Stelle preßte er die Lippen fest gegen die kleinen fleckigen Zähne und schlug mit der Faust auf die Handfläche der anderen Hand, die auf dem Oberschenkel lag, aber dann beruhigte er sich wieder. »Ich hab' zu ihr gesagt: ›Hör mal, Liebling. Du weißt, war- um.«« Jetzt lächelte er mich leise triumphierend an. »Ich sage: ›Weil in dem Buch die Wahrheit steht. Darum.-« Dann zwinkerte er mir zu, glitt von meinem Schreibtisch und ging davon, aufrecht und flott in seinem besudelten Sport- hemd und den dunklen Hosen aus Serge, die am Gesäß locker und glänzend herunterhingen. Das war Sobel.
     Es dauerte ein Weile, bis er lockerer wurde: Wenn er nicht gerade redete, ging er in der ersten Woche alles mit einem Eifer und einer Versagensangst an, die alle außer Finney, den Chef vom Dienst, beunruhigten. Wie wir anderen auch war Sobel für eine Liste von zwölf oder fünfzehn Gewerkschaftsbüros in der Stadt zuständig, und seine Hauptarbeit bestand darin, Kontakt zu ihnen zu halten und aufzuschreiben, was immer sie als Nachrich- ten herausgaben. In der Regel war das nichts Aufregen- des. Die durchschnittliche Meldung bestand aus zwei, drei Absätzen mit einer einspaltigen Überschrift:
    KLEMPNER ERRINGEN 3 CENT LOHNERHÖHUNG

    oder etwas in der Art. Aber Sobel komponierte sie so sorgfältig wie ein Sonett, und nachdem er einen Artikel abgegeben hatte, saß er da, kaute vor Angst auf den Lip- pen herum, bis Finney den Zeigefinger hob und sagte: »Komm mal her, Sobel.«
     Dann ging er zu ihm, nickte kleinlaut, während Finney ihn pedantisch auf einen grammatikalischen Makel hin- wies. »Substantivierungen sollte man vermeiden, Sobel. Statt ›gab den Klempnern eine neue Begründung zum Verhandele sagt man besser ›gab den Klempnern eine neue Begründung, um zu verhandeln‹.«
     Finney genoß diese Vorträge. Das

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