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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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voller Eis. »Oh«, sagte sie seufzend. »Gott sei Dank, daß das vorbei ist. Jetzt ein bißchen Frieden und Ruhe.«
     »Ich mache die Drinks, Liebes«, sagte er und sprang auf. Er hatte gehofft, daß seine Stimme jetzt normal klin- gen würde, aber sie hallte noch immer wider wie in einer Echokammer.
     »Das wirst du nicht«, befahl sie. »Setz dich wieder. Du verdienst es, zu sitzen und bedient zu werden, wenn du nach Hause kommst und so müde aussiehst. Wie war dein Tag, Walt?«
     »Ach, in Ordnung«, sagte er und setzte sich wieder. »Gut.« Er sah ihr zu, wie sie Gin und Wermut abmaß, sie in dem Krug auf ihre gewandte rasche Art verrührte, die Sachen auf dem Tablett arrangierte und dieses durch das Zimmer trug.
     »So«, sagte sie und setzte sich nah neben ihn. »Machst du die Honneurs, Liebling?« Und als er die gekühlten Gläser gefüllt hatte, erhob sie ihres und sagte: »Oh, wie wunderbar. Prost.« Diese gute Cocktaillaune war sorg- fältig einstudiert, das wußte er. So wie ihre mütterliche Strenge während des Abendessens der Kinder; so wie die forsche nüchterne Effizienz, mit der sie früher am Tag die Einkäufe im Supermarkt in Angriff genommen hatte; so wie die Zärtlichkeit, mit der sie sich ihm später am Abend hingeben würde. Ihr Leben war der geordnete Wechsel vieler umsichtiger Stimmungen, oder ihr Leben war vielmehr dazu geworden. Dieser Wechsel gelang ihr fast immer, und nur selten, wenn er ihr Gesicht sehr genau betrachtete, sah er, wie viel Anstrengung es sie kostete.
    Aber der Drink war eine große Hilfe. Der erste bittere,
    eiskalte Schluck stellte seine Ruhe wieder her, und das Glas in seiner Hand schien beruhigend tief. Er trank noch ein, zwei Schlucke, bevor er es erneut wagte, sie anzu- sehen, und als er es tat, bot sie einen ermutigenden Anblick. Ihr Lächeln war nahezu vollständig entspannt, und bald plauderten sie so behaglich wie ein glückliches Liebespaar.
     »Ach, ist es nicht angenehm, dazusitzen und sich zu entspannen?« sagte sie und gestattete ihrem Kopf, in das Polster zu sinken. »Und ist es nicht großartig, daß Frei- tagabend ist?«
     »Und wie«, sagte er und hob sofort den Drink an den Mund, um sein Entsetzen zu verbergen. Freitagabend! Das bedeutete, daß er zwei Tage lang nicht einmal begin- nen konnte, nach Arbeit zu suchen – zwei Tage, die er im Haus festgehalten wäre oder sich im Park um Dreiräder und Eis am Stiel kümmern müßte ohne Hoffnung, der Last seines Geheimnisses entkommen zu können. »Ko- misch«, sagte er. »Ich hatte fast vergessen, daß Freitag ist.«
     »Oh, wie kannst du das nur vergessen?« Sie kuschelte sich noch genüßlicher ins Sofa. »Ich freue mich schon die ganze Woche darauf. Gieß mir noch einen kleinen Schluck ein, Liebling, und dann muß ich mich wieder an die Hausarbeit machen.«
     Er goß ihr noch einen kleinen Schluck und sich selbst ein ganzes Glas ein. Seine Hand zitterte, und er verschüt- tete ein wenig, aber sie schien es nicht zu bemerken. Ebensowenig schien sie zu bemerken, daß seine Antwor- ten immer gezwungener klangen, während sie das Ge- spräch am Laufen hielt. Als sie zur Hausarbeit zurück- kehrte – den Braten begoß, den Kindern das Bad einließ, deren Zimmer aufräumte –, blieb Walter allein sitzen und ließ seinen Geist in eine schwere, ginbenebelte Verwir- rung abgleiten. Nur ein hartnäckiger Gedanke trat deut- lich zutage, ein Rat, den er sich selbst gab, so klar und kalt wie der Drink, den er immer wieder an die Lippen führte: Halte durch. Gleichgültig, was sie sagt, gleichgül- tig, was heute abend oder morgen oder am Tag danach passiert, halte einfach durch. Halte durch.
     Aber durchzuhalten wurde immer schwieriger, als die planschenden Badgeräusche der Kinder ins Zimmer schwebten; noch schwieriger war es, als sie hereinge- bracht wurden, um gute Nacht zu sagen, mit ihren Teddybären und in saubere Schlafanzüge gekleidet, ihre Gesichter glänzend und nach Seife riechend. Danach war es unmöglich, auf dem Sofa sitzenzubleiben. Er sprang auf und begann, hin und her zu gehen, zündete sich eine Zigarette nach der anderen an, horchte auf die klare, modulierte Stimme seiner Frau, die im Nebenzim- mer die Gutenachtgeschichte vorlas (»Ihr dürft auf die Wiese gehen oder die Straße entlang, aber geht nicht in Mr. McGregors Garten ...«).
     Als sie wieder herauskam, die Tür zum Kinderzimmer hinter sich schloß, sah sie ihn wie eine tragische Statue am Fenster stehen und in den

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