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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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interessiert mich nicht. Heb deine Bleistif- te auf und hör mir bitte zu. Zu deiner Information, von Mr. Sobel wird nicht erwartet, daß er ein gebildeter Eng- länder ist. Es wird von ihm erwartet, daß er ein des Lesens und Schreibens mächtiger Amerikaner ist, und ich glaube, das ist er. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
     Und der Ausdruck in Sobels Gesicht, als er zu seinem Schreibtisch zurückging, war der eines aus dem Gefäng- nis entlassenen Mannes.
     Von diesem Augenblick an begann er sich zu entspan- nen; oder fast von diesem Augenblick an – was seine Ver- wandlung besiegelte, war O'Learys Hut.
     O'Leary hatte vor kurzem das City College abgeschlos- sen und war einer unserer besten Männer (seither ging es aufwärts mit ihm; seinen Namen sieht man jetzt häufig in einer Abendzeitung), und der Hut, den er in diesem Winter trug, war aus wasserabweisendem Stoff und wurde in Regenmäntelgeschäften verkauft. Er hatte nichts beson- ders Flottes – im Gegenteil, O'Learys Gesicht wirkte unter seiner schlappen Form zu schmal –, aber Sobel mußte ihn insgeheim als Symbol des Journalismus oder des Nonkonformismus bewundert haben, denn eines Morgens kreuzte er mit dem gleichen Hut auf, brandneu. Er sah da- mit noch schlechter aus als O'Leary, vor allem wenn er ihn zu seinem schweren braunen Mantel trug, aber er schien ihn zu lieben. Im Zusammenhang mit dem Hut entwickelte er eine ganze Reihe neuer manierierter Verhaltensweisen: Mit einer schnellen Bewegung des Zeigefingers schob er ihn zurück, wenn er sich setzte und seine morgendlichen Anrufe tätigte (»Hier spricht Leon Sobel vom Arbeiterfüh- rer . ..«), er zog ihn schneidig nach vorn, wenn er das Büro verließ, um für einen Auftrag zu recherchieren, und hängte ihn mit einer schnellen Drehung aus dem Handgelenk an den Haken, wenn er zurückkehrte, um seine Geschichte zu schreiben. Am Ende des Tages, nachdem er seinen letzten Text in Finneys Eingangs körb chen gelegt hatte, zog er den Hut auf lässige Weise schräg über eine Braue, schwang sich den Mantel über die Schultern und schritt mit einem lockeren Abschiedsgruß davon, und ich stellte mir vor, wie er auf dem Nachhauseweg in die Bronx sein Spiegelbild in den schwarzen U-Bahn-Fenstern betrachtete.
     Er schien entschlossen, seine Arbeit zu lieben. Er brachte sogar einen Schnappschuß von seiner Familie mit – eine müde, niedergeschlagen lächelnde Frau und zwei kleine Söhne – und befestigte ihn mit Tesafilm an seinem Schreib- tisch. Niemand sonst ließ etwas Persönlicheres als ein Streichholzbriefchen über Nacht im Büro.
     Eines Nachmittags gegen Ende Februar rief mich Fin- ney an seinen fettigen Schreibtisch. »McCabe«, sagte er, »willst du eine Kolumne für uns schreiben?«
     »Was für eine Kolumne?«
     »Klatschgeschichten aus der Arbeitswelt«, sagte er. »Echte Gewerkschaftsthemen, aber aus einer Klatsch- oder Plau- derperspektive – ein bißchen Humor, Persönlichkeiten, solche Sachen. Mr. Kramm glaubt, daß wir so was brau- chen, und ich habe ihm gesagt, daß du der beste Mann dafür bist.
     ich kann nicht leugnen, daß ich mich geschmeichelt fühlte (wir waren schließlich alle durch unsere Umge- bung geprägt), aber ich war auch mißtrauisch. »Wird mein Name genannt?«
     Er begann, nervös zu blinzeln. »O nein, nein, keine Na- mensnennung«, sagte er. »Mr. Kramm will, daß es anonym bleibt. Die Jungs liefern dir alles, was sich so ergibt, und du sammelst es und bringst es in Form. Das kannst du hier im Büro machen, während der regulären Arbeitszeit. Verstehst du?«
     Ich verstand. »Wird auch mit meinem regulären Gehalt bezahlt«, sagte ich. »Stimmt's?«
     »Stimmt.«
     »Nein, danke«, sagte ich, und dann, weil ich mich groß- zügig fühlte, schlug ich vor, er solle es bei O'Leary ver- suchen.
     »Nee, den hab' ich schon gefragt«, sagte Finney. »Der will's auch nicht machen. Niemand will.«
     Ich hätte mir natürlich denken können, daß er die ge- samte Mitarbeiterliste des Büros durchgegangen war. Und angesichts der Tatsache, daß der Tag schon weit fortge- schritten war, mußte ich ziemlich weit unten stehen.
     Als wir an diesem Abend nach der Arbeit das Büro ver- ließen, schloß Sobel zu mir auf. Er trug seinen Mantel wie einen Umhang, die Ärmel baumelten leer herunter, und er hielt seinen Hut fest, wann immer er behende hüpfte, um den Furchen aus schmutzigem Matsch auf dem Geh- steig auszuweichen. »Ich erzähl' dir ein kleines Geheim-

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