Elf Arten der Einsamkeit - Short stories
jetzt nur noch über die Kolumne) freute er sich herzlich und sagte: »Meine Frau meint, daß ich jetzt genauso schlimm bin wie damals, als ich an meinen Büchern gearbeitet habe. Ich schreibe, schreibe, schreibe. Es macht ihr aber nichts aus«, fügte er hinzu. »Sie ist schon ganz aufgeregt deswegen. Und erzählt allen davon – den Nachbarn, allen. Am Sonntag war ihr Bruder da, fragt mich, wie's in der Arbeit läuft – du weißt schon, auf so 'ne klugscheißerische Art. Ich hab' nichts gesagt, aber meine Frau tönt los: ›Leon schreibt jetzt eine Kolumne für die Zeitung‹ – und sie erzählt ihm alles. Mann, du hättest sein Gesicht sehen sollen.«
Jeden Morgen brachte er ein Bündel handgeschriebener Seiten mit, die er am Abend zuvor verfaßt hatte, und die Mittagspause nutzte er, um sie zu überarbeiten und abzu- tippen, während er an seinem Schreibtisch ein Sandwich kaute. Und jeden Abend ging er als letzter; wir ließen ihn zurück, wie er konzentriert und wie in Trance auf seine Schreibmaschine einhämmerte. Finney ließ ihm keine Ruhe – »Wie weit bist du mit der Kolumne, Sobel?« –, aber er parierte die Frage stets mit zusammengekniffenen Augen und einem trotzigen Recken des Kinns. »Machen Sie sich keine Sorgen. Sie werden sie kriegen.« Und dann zwinkerte er mir zu.
Am Morgen des Abgabetags kam er mit einem kleinen Flecken Toilettenpapier auf der Backe zur Arbeit; er hatte sich vor Nervosität beim Rasieren geschnitten, aber an- sonsten wirkte er so zuversichtlich wie immer. An diesem Morgen gab es keine Telefonanrufe zu erledigen – an den Tagen mit Redaktionsschluß blieben wir alle da und be- arbeiteten Manuskripte und Fahnen –, und als erstes breitete er das fertige Manuskript aus, um es ein letztes Mal zu lesen. Er war so darin vertieft, daß er erst auf- blickte, als Finney neben seinem Ellbogen stand. »Gibst du mir den Artikel, Sobel?«
Sobel riß die Papiere an sich und schirmte sie mit einem arroganten Unterarm ab. Er sah Finney unverwandt an und sagte mit einer Bestimmtheit, die er zwei Wochen lang geübt haben mußte: »Ich werde ihn Mr. Kramm zei- gen. Nicht Ihnen.«
In Finneys Gesicht begann es zu zucken, als lägen seine Nerven bloß. »Nee, nee, Mr. Kramm braucht das nicht zu sehen«, sagte er. »Außerdem ist er noch nicht da. Komm schon, gib her.«
»Sie verschwenden Ihre Zeit, Finney«, sagte Sobel. »Ich werde auf Mr. Kramm warten.«
Vor sich hin murmelnd und Sobels triumphierenden Blick meidend, ging Finney zu seinem Schreibtisch zurück, wo er BROADWAY EXKLUSIV Korrektur las.
Ich arbeitete an diesem Morgen am Layout-Tisch, klebte die Blindausgabe des ersten Teils zusammen. Ich stand da, arbeitete mit den unhandlichen Druckvorlagen und verklebten Scheren, als Sobel sich von hinten an mich heranschlich und beunruhigt dreinblickte. »Willst du's lesen, McCabe?« fragte er. »Bevor ich abgebe?« Und er reichte mir das Manuskript.
Das erste, was mir ins Auge stach, war, daß er oben auf Seite 1 ein kleines Foto von sich mit seinem Schlapphut geklebt hatte. Das nächste war der Titel:
SOBEL SPRICHT
von Leon Sobel
An den genauen Wortlaut der ersten Absätze erinnere ich
mich nicht, aber sie lauteten ungefähr so:
Das ist das »Debüt« einer neuen Serie des Arbeiter- führers, und zudem ist es »etwas Neues« für Ihren Kor- respondenten, der nie zuvor eine Kolumne geschrieben hat. Er ist jedoch alles andere als ein Novize, wenn es um das geschriebene Wort geht, im Gegenteil, er ist ein »tintenfleckiger Veteran« vieler Kämpfe auf dem Schlachtfeld der Ideen, um genau zu sein, neun Bücher sind seiner Feder entflossen.
Selbstverständlich war seine Aufgabe in diesen Bänden eine etwas andere als in dieser Kolumne, dennoch hofft er, daß auch die Kolumne wie seine Bücher bestrebt sein wird, das grundlegende menschliche Geheimnis zu durchdringen, mit anderen Worten: die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen.
Als ich aufblickte, sah ich, daß er den Rasiermesser- schnitt auf seiner Backe aufgekratzt hatte und dieser jetzt ungehindert blutete. »Also«, sagte ich, »als erstes würde ich es ihm ohne das Foto von dir geben – meinst du nicht, es wäre besser, er würde es erst lesen und dann –« »Okay«, sagte er und drückte ein zusammengeknülltes graues Taschentuch auf sein Gesicht. »Okay, ich nehm' das Foto wieder weg. Na los, lies den Rest.«
Aber es war keine Zeit mehr, den Rest zu lesen. Kramm war gekommen, Finney hatte mit ihm
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