Elf Arten der Einsamkeit - Short stories
gesprochen, und jetzt stand Kramm in der Tür zu seinem Büro und kaute mürrisch auf einer erloschenen Zigarre herum. »Du woll- test zu mir, Sobel?« rief er.
»Sofort«, sagte Sobel. Er strich die Seiten von SOBEL SPRICHT glatt und entfernte das Foto, das er in seine Hosentasche steckte, während er zur Tür ging. Auf hal- bem Weg fiel ihm ein, den Hut abzunehmen, und er warf ihn erfolglos Richtung Hutständer. Dann verschwand er hinter der Trennwand, und wir lehnten uns zurück, um zuzuhören.
Es dauerte nicht lang, bis Kramms Reaktion zu uns drang. »Nein, Sobel. Nein, nein, nein! Was soll das? Was versuchst du mir hier anzudrehen?«
Draußen zuckte Finney auf komische Weise zusammen und hielt sich kichernd eine Gesichtshälfte, und O'Leary starrte ihn an, bis er damit aufhörte.
Wir hörten Sobels Stimme, ein, zwei undeutliche Sätze des Protests, und dann wieder Kramm: »›Das grundlegende menschliche Geheimnis« – ist das Klatsch? Ist das Ge- munkel? Bist du nicht in der Lage, Anweisungen zu befol- gen? Einen Augenblick – Finney! Finney!«
Finney hastete zur Tür, entzückt, zu Diensten sein zu können, und wir hörten, daß er klare ehrliche Antworten auf Kramms Fragen gab: Ja, er hatte Sobel erklärt, was für eine Art Kolumne verlangt wurde; ja, er hatte darauf hin- gewiesen, daß der Verfassername nicht genannt werden würde; ja, Sobel war mit reichlich Klatschmaterial versorgt worden. Von Sobel hörten wir nur etwas Unverständliches, gesprochen mit einer angespannten tonlosen Stimme. Kramm erwiderte etwas Gutturales, und obwohl wir die Worte nicht verstanden, wußten wir, daß es vorbei war. Dann kamen sie heraus, Finney mit der Art von dämli- chem Lächeln im Gesicht, wie man es bisweilen in einer Menschenmenge sieht, die einen Autounfall beglotzt, Sobel so ausdruckslos wie der Tod.
Er hob seinen Hut vom Boden auf, nahm seinen Man- tel vom Ständer, zog beides an und kam zu mir. »Auf Wiedersehen, McCabe«, sagte er. »Nimm's leicht.«
Ich schüttelte ihm die Hand, mein Blick schweifte zu Finneys idiotischem Lächeln, und ich stellte Sobel eine dumme Frage: »Du gehst?«
Er nickte. Dann schüttelte er O'Leary die Hand – »Mach's gut, Junge« – und zögerte, unsicher, ob er uns allen die Hand schütteln sollte. Er entschied sich für ein kurzes Wackeln mit dem Zeigefinger und ging hinaus auf die Straße.
Finney verlor keine Zeit, uns beflissen flüsternd die ganze Geschichte zu erzählen: »Der Typ ist verrückt! Er sagt zu Kramm: ›Sie nehmen diese Kolumne, oder ich gehe‹ – einfach so. Kramm schaut ihn an und sagt: ›Du gehst? Raus hier, du bist gefeuert.‹ Was hätte er denn sonst sagen sollen?«
Ich wandte mich ab und sah, daß der Schnappschuß von Sobels Frau und Söhnen noch auf seinem Schreib- tisch klebte. Ich entfernte ihn und ging damit hinaus auf den Gehsteig. »He, Sobel!« schrie ich. Er war einen Block entfernt, sehr klein, unterwegs zur U-Bahn. Ich lief ihm nach, brach mir fast das Genick auf dem gefrorenen Matsch. »He, Sobell« Aber er hörte mich nicht.
Wieder im Büro, schlug ich seine Adresse im Telefon- buch nach, steckte das Foto in einen Umschlag, gab ihn zur Post, und ich würde mir wünschen, das wäre das Ende der Geschichte.
Aber am Nachmittag rief ich den Chefredakteur einer Branchenzeitschrift für Werkzeug an, für die ich vor dem Krieg gearbeitet hatte, und er sagte, daß es im Moment keine freie Stelle gebe, aber vielleicht demnächst, und er wäre gewillt, Sobel anzuhören, wenn er vorbeikommen würde. Es war eine dumme Idee: Das Gehalt war noch geringer als beim Arbeiterführer, und außerdem war es ein Job für sehr junge Männer, deren Väter sie das Werkzeug- geschäft erlernen lassen wollten – Sobel hätte sich wahr- scheinlich disqualifiziert, sobald er den Mund aufge- macht hätte. Aber es schien besser als nichts, und kaum hatte ich abends das Büro verlassen, ging ich in eine Tele- fonzelle und schlug Sobels Nummer nach.
Eine Frauenstimme meldete sich; es war nicht die hohe leise Stimme, die ich erwartet hatte. Sie war tief und me- lodiös – das war die erste von mehreren Überraschungen.
»Mrs. Sobel?« fragte ich und lächelte absurderweise in die Sprechmuschel. »Ist Leon da?«
Sie setzte an, um »Einen Augenblick« zu sagen, sagte dann jedoch: »Mit wem spreche ich, bitte? Ich möchte ihn jetzt nur ungern stören.«
Ich nannte ihr meinen Namen und versuchte, die Sache mit der
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