Elf Arten der Einsamkeit - Short stories
Werkzeugzeitschrift zu erklären.
»Ich verstehe nicht«, sagte sie. »Was für eine Zeitung ist das genau?«
»Also, es ist eine Branchenzeitschrift«, sagte ich. »Nichts Großartiges, aber es ... Sie wissen schon, auf ihre Art ist es eine hübsche kleine Sache.«
»Ich verstehe«, sagte sie. »Und Sie möchten, daß er hin- geht und sich bewirbt? Geht es darum?«
»Ja, also, nur wenn er will«, sagte ich. Ich fing an zu schwitzen. Es war unmöglich, das blasse Gesicht auf Sobels Schnappschuß mit der heiteren, nahezu schönen Stimme in Einklang zu bringen. »Ich dachte nur, daß er es vielleicht versuchen will, das ist alles.«,
»Gut«, sagte sie, »einen Augenblick, ich werde ihn fra- gen.« Sie legte den Hörer ab, und ich hörte sie im Hinter- grund miteinander sprechen. Zuerst klangen ihre Worte gedämpft, aber dann hörte ich Sobel sagen: »Ach, ich sprech' mit ihm ... ich bedank' mich nur schnell für den Anruf.« Und ich hörte sie antworten, mit unendlicher Zärtlichkeit: »Nein, Liebling, warum solltest du? Er ver- dient es nicht.«
»McCabe ist in Ordnung«, sagte er.
»Nein, das ist er nicht«, sagte sie, »sonst hätte er den Anstand, dich in Ruhe zu lassen. Laß mich mit ihm reden. Bitte. Ich wimmle ihn ab.«
Sie kam zum Telefon und sagte: »Nein, mein Mann sagt, daß er sich nicht für diese Art Arbeit interessiert.« Dann dankte sie mir höflich, verabschiedete sich und überließ es mir, schuldbeladen und schwitzend die Tele- fonzelle zu verlassen.
Spaß mit Fremden
Den ganzen Sommer wurden die Kinder, die zu Miss Snell in die dritte Klasse kommen sollten, vor ihr ge- warnt. »Junge, die wird's euch zeigen«, sagten die älte- ren Kinder und verzogen vor boshaftem Vergnügen das Gesicht. »Die wird's euch wirklich zeigen. Mrs. Cleary ist in Ordnung« – (Mrs. Cleary unterrichtete die andere, vom Glück bevorzugte dritte Klasse) – »sie ist nett, aber Mann, diese Snell – paßt bloß auf.« Und so geschah es, daß die Stimmung von Miss Snells Klasse gedämpft war, noch bevor im September die Schule begann, und zu Beginn des Schuljahrs tat Miss Snell wenig, um sie zu heben.
Sie war vermutlich sechzig, eine große hagere Frau mit männlichen Gesichtszügen, und ihre Kleider, wenn nicht gar ihre Poren schienen beständig die trockene Essenz von Bleistiftspänen und Kreidestaub zu verströmen, die den Geruch der Schule ausmacht. Sie war streng, humor- los und damit beschäftigt, alles auszurotten, was sie für unerträglich hielt: Schwätzen, schlechte Haltung, Tag- träumen, häufige Gänge zur Toilette und, am schlimm- sten von allem, »ohne die richtige Ausrüstung zur Schule zu kommen«. Ihre kleinen Augen waren scharf, und wenn jemand beunruhigt und verstohlen flüsterte und einen anderen anstieß, weil er sich einen Bleistift borgen wollte, bemerkte sie es fast immer. »Was ist da hinten los?« fragte sie dann. »Ich meine dich, John Gerhardt.« Und John Gerhardt – oder Howard White oder wer immer betrof- fen war –, den sie beim Flüstern erwischt hatte, wurde rot und sagte: »Nichts.«
»Nuschel nicht. Geht es um einen Bleistift? Bist du wie- der ohne Stifte in die Schule gekommen? Steh auf, wenn ich mit dir spreche.«
Und dann folgte ein langer Vortrag über »die richtige Ausrüstung«, der erst beendet war, wenn der Missetater nach vorn gegangen war, einen Bleistift aus dem kleinen Vorrat auf ihrem Pult entgegengenommen, »Danke, Miss Snell« gesagt und das Versprechen, daß er nicht darauf herumkauen oder die Spitze abbrechen würde, laut genug wiederholt hatte, daß alle es hörten.
Mit Radiergummis war es noch schlimmer, da sie auf- grund der verbreiteten Neigung, sie von den Bleistiften abzubeißen, noch häufiger Mangelware waren. Auf Miss Snells Pult lag ein großer, formloser alter Radiergummi, und sie schien sehr stolz darauf zu sein. »Das ist mein Radiergummi«, sagte sie und hielt ihn hoch. »Ich habe diesen Radiergummi seit fünf Jahren. Fünf Jahre.« (Und das war nicht schwer zu glauben, denn der Radiergummi sah so alt und grau und verschlissen aus wie die Hand, die ihn drohend schwang.) »Ich habe nie damit gespielt, weil er kein Spielzeug ist. Ich habe nie darauf herum- gekaut, weil er nichts zu essen ist. Und ich habe ihn nie verloren, weil ich nicht dumm und achtlos bin. Ich brau- che diesen Radiergummi für meine Arbeit und passe gut darauf auf. Warum könnt ihr nicht das gleiche mit euren Radiergummis tun? Ich weiß nicht, was
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