Elf Arten der Einsamkeit - Short stories
sagte der kleinere Soldat, »das sind zwei Din- ger.«
»Wahrscheinlich sind sie nicht echt«, sagte der Größere.
»Die sind echt, Sohn«, versicherte Fallon ihm und wandte sich mit einem Mann-von-Welt-Zwinkern wieder seinem Bier zu. »Die sind echt. Falsche erkenne ich aus einer Meile Entfernung.«
Sie tranken noch ein paar Runden, redeten über die Armee, und nach einer Weile erkundigte sich der größere Soldat, wie sie zum Central Plaza kämen, er habe gehört, daß dort am Freitagabend Jazz gespielt würde; dann fuh- ren sie alle drei mit einem Taxi, das Fallon bezahlte, die Second Avenue entlang. Als sie im Central Plaza auf den Aufzug warteten, zog er sich den Ehering vom Finger und steckte ihn in seine Westentasche.
In dem großen hohen Ballsaal wimmelte es von jungen Männern und Mädchen; Hunderte von ihnen saßen vor ihren Bierkrügen, horchten auf die Musik oder lachten; weitere hundert tanzten wild auf einer freien Fläche zwi- schen den Bänken und Tischen. Weit weg auf der Bühne spielte eine Gruppe schwitzender farbiger und weißer Musiker aus Leibeskräften, ihre Blasinstrumente glänzten im rauchigen Licht.
Fallon, in dessen Ohren Jazz immer gleich klang, setzte eine Kennermiene auf, als er mit hängenden Schultern auf der Schwelle stehenblieb, sein Gesicht angespannt und glänzend im Kreischen der Klarinetten, seine leuch- tendblaue Hose zitterte mit dem leichten rhythmischen Einknicken seiner Knie, und seine Finger schnippten lok- ker zum Takt des Schlagzeugs. Aber es war nicht die Musik, die ihn mitriß, als er die Soldaten zu einem Tisch neben drei Mädchen führte, noch war es die Musik, die ihn veranlaßte, aufzustehen, sobald die Band etwas ausrei- chend Langsames spielte, und die Bestaussehende der drei zum Tanzen aufzufordern. Sie war groß und gut ge- baut, eine schwarzhaarige Italienerin, auf deren Stirn matt ein Schweißfilm schimmerte, und als sie vor ihm zur Tanzfläche ging, sich zwischen den Tischen hindurch- schlängelte, weidete er sich am langsamen, anmutigen Schwung ihrer Hüften und ihres Rocks. In seinem froh- lockenden, vom Bier benebelten Kopf wußte er bereits, wie es wäre, wenn er sie nach Hause brächte – wie sie sich für seine forschenden Hände in der dunklen Inti- mität des Taxis anfühlen würde und wie sie später wäre, sich windend und nackt, in einem weit entfernten ver- schwommenen Schlafzimmer am Ende der Nacht. Und kaum standen sie auf der Tanzfläche, kaum wandte sie sich ihm zu und hob die Arme, drückte er sie fest und hit- zig an sich.
»Jetzt hör aber mal«, sagte sie und stemmte sich zornig gegen ihn, so daß die Sehnen an ihrem feuchten Hals hervortraten. »Nennst du das tanzen?«
Er lockerte seinen zittrigen Griff und grinste sie an. »Keine Angst, Süße«, sagte er. »Ich beiße nicht.«
»Und die ›Süße‹ kannst du dir auch sparen«, sagte sie, und dann schwieg sie, bis der Tanz vorbei war.
Aber sie mußte bei ihm bleiben, denn die beiden Sol- daten hatten sich zu ihren zwei lebhaften, kichernden Freundinnen gesetzt. Sie saßen jetzt alle sechs am sel- ben Tisch, und eine halbe Stunde lang herrschte eine unangenehme Partystimmung: Eins der Mädchen (sie waren beide klein und blond) lachte immer wieder krei- schend über die Dinge, die der kleinere Soldat ihr zu- murmelte, und um den Hals der anderen lag der Arm des größeren Soldaten. Aber Fallons große Brünette, die ihm widerwillig ihren Namen, Marie, genannt hatte, saß schweigend und steif neben ihm, öffnete und schloß die Schließe der Handtasche auf ihrem Schoß. Fallon hielt sich an ihrer Stuhllehne so fest, daß seine Finger- knöchel weiß hervortraten, und wann immer er seine Hand versuchsweise auf ihre Schulter legte, schüttelte sie sie ab.
»Wohnst du hier in der Nähe, Marie?« fragte er sie.
»In der Bronx«, sagte sie.
»Kommst du oft hierher?«
»Manchmal.«
»Möchtest du eine Zigarette?«
»Ich rauche nicht.«
Fallons Gesicht brannte, die kleine gewundene Ader in
seiner rechten Schläfe pulsierte sichtbar, und an seinem Oberkörper rann Schweiß hinunter. Er war wie ein Junge bei seinem ersten Rendezvous, gelähmt und sprachlos angesichts der Nähe ihres warmen Kleides, des Dufts ihres Parfums, der Art, wie ihre zierlichen Finger sich an der Handtasche zu schaffen machten und ihre breite Unter- lippe feucht schimmerte.
Am Nebentisch erhob sich ein junger Matrose, hielt die Hände an den Mund und schrie etwas in
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