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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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Richtung Bühne, und der Ruf wurde im Saal aufgenommen. Es klang wie »Wir wolln die Saints!«, aber Fallon verstand den Sinn nicht. Zumindest bot es ihm Gelegenheit, etwas zu sagen. »Was schrein sie da?« fragte er sie.
     »›The Saints‹«, sagte sie und sah ihn gerade so lange an, um es ihm zu erklären. »Sie wollen ›The Saints‹ hören.«
     »Oh.«
     Danach sprachen sie lange Zeit nichts mehr, bis Marie
    die ihr am nächsten sitzende Freundin ansah und dabei das Gesicht ungeduldig verzog. »Gehen wir«, sagte sie. »Komm. Ich will nach Hause.«
     »Ach, Marie«, sagte das andere Mädchen, ihr Gesicht gerötet vom Bier und vom Flirten (sie trug jetzt die Über- seekappe des kleinen Soldaten). »Sei nicht albern.« Dann sah sie Fallons gequälten Ausdruck und versuchte, ihm zu helfen. »Sind Sie auch in der Armee?« fragte sie gut gelaunt und neigte sich ihm über den Tisch hinweg zu.
     »Ich?« sagte Fallon überrascht. »Nein, ich – ich war da- bei. Bin schon vor einer ganzen Weile entlassen worden.«
     »Ach, ja?«
     »Er war ein BAR-Mann«, erklärte ihr der kleine Soldat.
     »Ach ja?«
     »Wir wolln die ›Saints‹! Wir wolln die ›Saints‹!« brüllten
    sie jetzt immer dringlicher in allen Ecken des riesigen Raums.
     »Komm schon«, sagte Marie erneut zu ihrer Freundin. »Gehen wir, ich bin müde.«
     »Dann geh doch«, sagte das Mädchen mit der Soldaten- kappe eingeschnappt. »Geh doch, wenn du willst, Marie. Kannst du nicht allein nach Hause gehen?«
     »Nein, warte, hör mal.« Fallon sprang auf. »Geh noch nicht, Marie – ich sag' dir was. Ich hol' noch Bier, okay?« Und er stürmte davon, bevor sie ablehnen konnte.
     »Für mich nicht«, rief sie ihm nach, aber er war bereits drei Tische weit entfernt und ging rasch in die Ecke des Saals, in der sich die Bar befand. »Schlampe«, flüsterte er. »Schlampe. Schlampe.« Und die Bilder, die ihn jetzt, während er an der provisorischen Bar anstand, quälten, wurden durch seine Wut noch intensiver: widerspenstige Gliedmaßen und zerrissene Kleider im Taxi; blinde Ge- walt im Schlafzimmer und erstickte Schmerzensschreie, die zu Wimmern und dann zu einem spastischen lust- vollen Stöhnen wurden. Oh, er würde ihr schon die Hemmungen nehmen! Er würde ihr die Hemmungen nehmen!
     »Macht schon, macht schon«, sagte er zu den Männern, die hinter der Bar mit Krügen, Zapfhähnen und nassen Dollarscheinen hantierten.
     »Wir – wolln – die – ›Saints‹! Wir – wolln – die – ›Saints‹!« Das Gebrüll im Saal erreichte seinen Höhepunkt. Dann, nachdem sich das Schlagzeug in einen erbarmungslosen brutalen Rhythmus hineingesteigert hatte, der nahezu unerträglich war, bis er im Getöse der Becken endete und dem Schmettern der Bläser wich, drehte die Menge durch. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Fallon, der end- lich seinen Krug mit Bier bekam und sich von der Bar abwandte, bemerkte, daß die Band »When the Saints Go Marching In« spielte.
     Der Saal glich einem Tollhaus. Mädchen kreischten, Jungen standen brüllend auf Stühlen und schwenkten ihre Arme; Gläser gingen zu Bruch, Stühle fielen um, und an den Wänden standen vier Polizisten bereit, um bei Kra- wall einzuschreiten, während die Band drauflosspielte.

    »When the saints
Go marching in
Oh, when the saints go marching in .. .«
    Fallon drängte sich verwundert durch den Krach und ver- suchte, seine Leute zu finden. Er fand ihren Tisch, war sich jedoch nicht sicher, ob er es wirklich war – er war leer abgesehen von einer zerknüllten Zigarettenschachtel und einer Bierlache, und einer der Stühle war umgefallen. Er glaubte Marie unter den hektischen Tänzern zu erken- nen, aber es war eine andere große Brünette, die ein ähn- liches Kleid trug. Dann meinte er, den kleinen Soldaten wild gestikulierend auf der anderen Seite des Saals zu sehen, und bahnte sich einen Weg zu ihm, aber es war ein anderer Soldat mit einem bäuerlichen Gesicht. Fallon drehte sich immer wieder um die eigene Achse, schwitzte und schaute sich in der schwindelerregenden Menge um. Dann stieß ein Junge in einem feuchten rosafarbenen Hemd heftig an seinen Ellbogen, und das Bier ergoß sich in einem kalten Schwall über seine Hand und seinen Ärmel, und da wurde ihm klar, daß sie gegangen waren. Sie hatten ihn abserviert.

    Er war draußen auf der Straße und marschierte auf sei- nen eisenbeschlagenen Absätzen mit schnellen kräftigen Schritten, und der nächtliche Verkehrslärm war

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