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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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kannst du deinen Arsch verwetten, daß sie bei der Infanterie Spezialisten haben«, sagte Fallon. »Jeder Blödmann in einer Schützenkompanie ist ein Spezialist, falls du es genau wissen willst. Und ich will dir mal eins sagen, Mann – dort scheißt sich keiner was um Seiden- handschuhe und maßgeschneiderte Kleidung, darauf kannst du deinen Arsch verwetten.«
     »Jetzt aber mal halblang«, sagte Kopeck. »Eins würd' mich interessieren, John. Worauf warst du denn speziali- siert?«
    »Ich war ein BAR-Mann«, sagte Fallon.
    »Was ist das denn?«
    Und da fiel Fallon zum ersten Mal auf, wie sehr sich im
    Lauf der Jahre die Zusammensetzung der Mitarbeiter im Büro verändert hatte. In den alten Zeiten, um 1949 oder 1950, als die alten Kollegen noch da waren, hätte jemand, der nicht wußte, was BAR bedeutete, mit großer Sicher- heit den Mund gehalten.
     »BAR«, sagte Fallon und legte seine Gabel weg, »steht für Browning Automatic Rifle. Das ist ein vollautoma- tisches Mehrladegewehr Kaliber dreißig, das die Haupt- feuerkraft einer Zwölf-Mann-Schützengruppe ausmacht. Beantwortet das deine Frage?«
     »Wie meinst du das?« hakte Boyle nach. »Ein Maschi- nengewehr?«
     Und als spräche er zu Kindern oder Mädchen, mußte Fallon erklären, daß es nicht mit einem herkömmlichen Maschinengewehr zu vergleichen und seine taktische Funk- tion eine völlig andere war; schließlich kramte er seinen Bleistift hervor und zeichnete aus dem Gedächtnis und mit Hingabe den Umriß der Waffe auf die Rückseite des Um- schlags, in dem sein wöchentlicher Gehaltsscheck steckte.
     »Na gut«, sagte Kopeck, »jetzt sag mir eins, John. Was
    muß man wissen, um mit so einem Gewehr schießen zu können? Braucht man eine spezielle Ausbildung dafür oder was?«
     Fallons Augen waren zornige Schlitze, als er den Stift und den Umschlug wieder in die Jackentasche stopfte. »Versuch's mal«, sagte er. »Versuch mal mit dem BAR und einem Munitionsgurt über dem Rücken auf leeren Magen zwanzig Meilen zu marschieren, dich dann in einen Sumpf zu legen, wo dir das Wasser über den Arsch steigt und du festgenagelt wirst von Maschinengewehrsalven und Mörserfeuer, und dein Gruppenführer schreit ›Bring das BAR in Stellung!‹, und du mußt den Rückzug des ganzen Zuges oder der ganzen verdammten Kompanie decken. Versuch's mal, Mann – du wirst schon sehen, was man wissen muß.« Und er trank einen großen Schluck von seinem Bier, woraufhin er husten mußte und in seine dicke sommersprossige Faust spuckte.
     »Nur die Ruhe«, sagte Boyle lächelnd. »Überanstreng dich nicht, Mann.«
     Und Fallon wischte sich den Mund ab, atmete schwer und starrte sie wütend an.
     »Okay, du bist also ein Held«, sagte Kopeck leichthin. »Du hast gekämpft. Aber sag mir eins, John. Hast du selbst mit diesem Ding geschossen?«
     »Was glaubst du?« fragte Fallon und seine schmalen Lippen bewegten sich dabei kaum.
     »Wie oft?«
     Tatsache war, daß Fallon als kräftiger, fähiger Soldat
    von neunzehn Jahren, von den anderen in seiner Gruppe viele Male ein »verdammt guter BAR-Mann« genannt, seine Waffe in den letzten zwei Monaten des Krieges auf wunden Füßen viele Meilen über Straßen und Felder und durch Wälder geschleppt, damit häufig im Sperrfeuer der Artillerie und unter Mörserbeschuß gelegen und sie vie- len frisch gefangengenommenen Deutschen vor die Brust gehalten hatte; er hatte jedoch nur zweimal damit ge- schossen, hatte zweimal nichts getroffen und war das zweite Mal wegen Verschwendung von Munition getadelt worden.
     »Das geht dich verdammt noch mal nichts an!« sagte er, und die anderen blickten kaum verhohlen lächelnd auf ihre Teller. Er starrte sie wütend an, wartete nur dar- auf, daß sie stichelten, aber keiner von ihnen sagte etwas, und das war noch schlimmer. Sie aßen schweigend und tranken ihr Bier, und nach einer Weile wechselten sie das Thema.

    Fallon lächelte den ganzen Nachmittag kein einziges Mal, und er war noch immer verdrossen, als er sich mit seiner Frau im Supermarkt in der Nähe ihrer Wohnung traf, um fürs Wochenende einzukaufen. Sie sah müde aus, wie immer, wenn ihre Stirnhöhlenschmerzen schlimmer wurden, und während er schwerfällig den Einkaufswagen hinter ihr herschob, wandte er immer wieder den Kopf, um den schwingenden Hüften und vollen Brüsten ande- rer junger Frauen im Laden nachzuschauen.
     »Au!« schrie sie einmal und ließ eine Schachtel Ritz Cracker fallen, um sich die schmerzende

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