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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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Stimmen zu einem mißtönenden Chor, in dem Tinys Stimme alle anderen übertönte:

    »Should old acquaintance be forgot And never brought to mind? ...«

    Sogar Vernon Sloan sang, aufrecht in seinem Bett sitzend, einen wäßrigen Highball in der Hand, den er langsam im Rhythmus der Musik hin und her schwenkte. Alle sangen.

    »For o-o-old lang syne, my boys, For o-o-old lang syne...«

    Und nach dem Lied begann das Händeschütteln. »Ein gutes neues Jahr, Junge.«
     »Dir auch, Junge – hoffentlich schaffst du es diesmal.« Durch das ganze Haus Sieben schlenderten Männer auf der Suche nach Händen, um sie zu schütteln; im Lärm der Radios und Rufe wurden die Worte ein ums andere Mal wiederholt: »Ein gutes neues Jahr ...« »Hoffentlich schaffst du es diesmal, Junge ... « Und neben Tiny Kovacs' Bett, auf dem der lila Morgenmantel als sorglos gebausch- tes Bündel lag, stand still und müde McIntyre, hob das Glas der Menge entgegen und entblößte lächelnd das nackte Zahnfleisch, Tinys Gelächter dröhnte ihm in den Ohren, und Tinys schwerer Arm lag um seinen Hals.

Baumeister

    Schriftsteller, die über Schriftsteller schreiben, verursa- chen leicht die schlimmste Art literarischer Fehlgeburt; das weiß jeder. Man beginne eine Geschichte mit »Craig drückte seine Zigarette aus und stürzte sich auf die Schreibmaschine«, und es gibt nicht einen Lektor in den Vereinigten Staaten, der gern den nächsten Satz lesen würde.
     Aber machen Sie sich keine Sorgen: Das hier wird ein ehrliches, realistisches Stück Prosa über einen Taxifahrer, einen Filmstar und einen bedeutenden Kinderspsycholo- gen, versprochen. Sie müssen jedoch ein wenig Geduld aufbringen, denn es wird auch ein Schriftsteller auftreten. Ich werde ihn nicht »Craig« nennen, und ich garantiere Ihnen, daß er nicht damit durchkommen wird, der einzig Feinfühlige unter den Protagonisten zu sein, aber wir werden ihn die ganze Zeit am Hals haben, und Sie müs- sen damit rechnen, daß er so ungeschickt und aufdring- lich ist, wie Schriftsteller es nahezu immer sind, in der Literatur wie im Leben.

    Vor dreizehn Jahre, 1948, war ich zweiundzwanzig und als Redakteur für Wirtschaftsnachrichten bei United Press angestellt. Mein Gehalt betrug vierundfünfzig Dollar die Woche, und es war kein besonders guter Job, aber er hatte zwei Vorteile. Der eine war, daß ich, wann immer mich jemand fragte, was ich arbeitete, sagen konnte »Ich arbei- te bei UP«, was flott klang; der andere war, daß ich jeden Tag vor dem Daily-News Gebäude auftauchen und ver- kommen aussehen konnte in einem billigen Trenchcoat, der so eingegangen war, daß er mir eine Nummer zu klein war, und mit einem abgenutzten braunen Filzhut (damals hätte ich ihn als »übel zugerichtet« beschrieben, und ich bin dankbar, daß ich jetzt etwas mehr über Ehr- lichkeit im Gebrauch von Worten weiß. Es war ein abge- nutzter Hut, abgenutzt durch endloses nervöses Drücken und Formen und Neuformen; er war überhaupt nicht übel zugerichtet.). Was ich damit sagen will, ist, daß ich jeden lag für die paar Minuten, die ich die letzten hun- dert Meter die leichte Anhöhe vom Ausgang der U-Bahn bis zum News-Gebäude hinaufschlenderte, Ernest Heming- way war, der zur Arbeit beim Kansas City Star ging.
     War Hemingway nicht vor seinem zwanzigsten Ge- burtstag im Krieg und wieder zurück gewesen? Nun, ich ebenfalls; na gut, ich war vielleicht nicht verwundet oder mit Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnet worden, dennoch bleibt die Tatsache als solche bestehen. Hatte Heming- way sich je um etwas geschert, was eine solche Zeitver- schwendung und die Karriere Hinauszögerndes war wie der Besuch eines Colleges? Himmel, nein; und ich auch nicht. War Hemingway je wirklich etwas am Zeitungs- geschäft gelegen? Natürlich nicht; deshalb bestand auch nur ein marginaler Unterschied zwischen seinem glück- lichen Durchbruch beim Star und meiner trostlosen Ar- beit in der Wirtschaftsredaktion. Das Wichtige war, und ich wußte, Hemingway hätte dem als erster zugestimmt, daß ein Schriftsteller irgendwo anfangen muß.
     »Amerikanische Aktien verzeichneten heute trotz des be scheidenen Handels ungewöhnliche Kurssteigerungen...« Das war die Prosa, die ich den ganzen Tag für UP schrieb, und »Steigende Ölaktien notierten nachbörslich lebhaft« und »Die Geschäftsführung von Timken-Rollenlager er- klärte heute ...« – Aberhunderte von Wörtern, die ich nicht wirklich verstand (Was um Gottes willen sind Stel-

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