Elf Zentimeter
auf.
Noch plumper hätte ich eindeutig nicht reagieren können, dachte ich als Erstes. Total daneben. Dabei hatte Johanna offenbar mit sich gekämpft, mich überhaupt anzurufen, sonst hätte sie es kaum erst drei Monate vor der Geburt getan.
Als Zweites dachte ich über Möglichkeiten nach, einfach zu verschwinden. Man musste es nur sorgfältig planen und musste mit dem alten Leben vollständig brechen. Neuer Name, neue Identität, neues Land, neue Sprache, neue Freunde. Ich fragte mich, ob diese Option ehrenhaft war. War sie nicht.
Als Nächstes überfiel mich Neugierde. Würde es ein Mädchen oder ein Junge werden? War die Schwangerschaft bisher gut verlaufen? Und wenn es ein Junge wurde, ab welchem Alter musste ich ihm beibringen, meine Fehler zu vermeiden? Ich würde mich noch einmal genauer mit der Jelq-Massage befassen. In Indien wiesen bestimmt die Väter ihre Söhne darin ein, so wie die Mütter den Töchtern Tipps aus dem Kamasutra fürs Liebesspiel gaben.
Was wollte Johanna eigentlich von mir? Wollte sie mich überhaupt als Vater haben? Vielleicht war jener für mich so aufregende Abend für sie eine einzige riesige Enttäuschung gewesen. Während ich so vor mich hin grübelte, merkte ich, dass mich Johannas Nachricht weder richtig schockierte, noch aus der Bahn warf. Ich saß auf meinem Krankenhausbett und spürte, wie sich auf meinem Gesicht langsam, aber sicher ein Grinsen breit machte. Immerhin war diese Schwangerschaft ein Beweis für meine Zeugungsfähigkeit. Man weiß das ja vorher nie. Und wer bei einem zehn Sekunden dauernden, besoffenen Waldfick dermaßen zuschlagen kann, der muss es draufhaben, kleiner Schwanz hin, Chancenlosigkeit bei Sabine her.
Ich sagte Jakob, der die Kopfhörer übergestülpt hatte, noch nichts davon. Er sollte keine weiteren Lachschmerzen erleiden, und außerdem wollte ich das Geheimnis noch für mich bewahren. Ohne mir dessen richtig bewusst zu sein, beschloss ich, was immer da auf mich zukam, anzunehmen. Und zwar als Mann. Ich würde ein Kind haben. Für dieses Kind würde ich ein Vorbild sein, wie immer sich Johanna meine Rolle auch vorstellte. Für dieses Kind musste ich meine Mühlsteine ablegen und meine Gespenster vertreiben. Für dieses Kind musste ich aufrecht durchs Leben gehen und nicht wie ein Schwächling gebeugt unter der Last eines vermeintlich übermächtigen Schicksals. Ich musste endlich aufhören, mein Selbstbewusstsein über meine Schwanzlänge zu definieren. Ich musste endlich auch im Kopf aufhören, der fette Stefan mit dem kleinen Schwanz zu sein.
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7
S obald ich das Krankenhaus verlassen durfte, fing ich bei einem vergleichsweise einfach zu korrigierenden Problem an. Bei meinem Geldmangel. Denn egal, ob mich Johanna nun in der Rolle des Vaters sehen wollte oder nicht, zahlen würde ich auf jeden Fall müssen. Geldmangel lässt sich durch geringere Ausgaben und höhere Einnahmen beheben. Also entschloss ich mich, Teneriffa wieder abzusagen und dafür meinen Exchef bei der Bahn anzurufen.
»Wenn du zurückkommen willst – immer gerne«, hatte er bei meinem etwas spontanen Abschied gemeint. »Nur für den Fall, dass es mit dem Kabarett doch nicht so klappt.«
Damals war ich eher sauer über seinen mangelnden Glauben an mein Genie gewesen als erfreut über das Angebot. Jetzt war es aber so weit, dass ich dieses Angebot annehmen wollte, und es kam mir auch nicht wie ein Rückschritt vor. Im Gegenteil, die Gedanken an mein Kind und an mein neues Ziel, ein richtiger Mann und ein gutes Vorbild zu werden, machten mich richtig euphorisch. Falls Sie auch einen kleinen Pimmel haben, machen Sie sich nichts daraus, hätte ich meinem Exchef am liebsten zugerufen, das Leben ist auch so verdammt aufregend!
So spontan war dann allerdings doch keine Stelle frei. Er versprach mir aber, sich bei mir zu melden.
»Das ist jetzt ein bisschen kurzfristig«, meinte er, während ich mir meine kleine Enttäuschung nicht anmerken ließ. Er sollte nicht glauben, dass ich als Kabarettist versagt hatte. Ich hatte ja die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, es irgendwann als Kabarettist doch noch zu etwas zu bringen. Schließlich hatte ich noch nicht einmal richtig angefangen und war sicher, dass mir in meiner neuen Situation bald die richtig großen Ideen zufliegen würden.
Ich könnte mich zum Beispiel auf die Bühne stellen und aller Welt verkünden, dass mein Schwanz nur elf Zentimeter lang ist, dachte ich, während mein Exchef über den Stellenplan redete.
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