Elf Zentimeter
Vermutlich würde es ein Befreiungsschlag für den ganzen männlichen Teil der Welt sein. Vielleicht würden es mir Norweger, Griechen, Franzosen, Engländer, Liechtensteiner, Chinesen und Senegalesen nachmachen. Männer auf der ganzen Welt würden sich befreien. In Asien würde sich vielleicht ein Mann mit sieben Zentimetern outen und in Afrika wären es wahrscheinlich etwas mehr. Der dortige Tabubrecher würde verkünden, dass man auch mit sechzehn Zentimetern schon ein richtiger Mann ist.
Aber zunächst war es wichtiger, einen Job zu finden.
»Sobald etwas frei ist, melde ich mich bei dir«, sagte mein Exchef. »Es kann aber ein bisschen dauern.«
Ganz kurz überlegte ich, meinen ganzen Plan wieder fahren zu lassen und doch einfach unterzutauchen. Irgendwo in Asien. Auf die Art wäre ich zwei Probleme auf einmal los gewesen. Aber das wäre zu billig und gleichzeitig zu aufwändig gewesen. Deshalb zog ich lieber die einfachere Konsequenz aus meinen Überlegungen und beschloss, in diesem Leben zumindest nie nach Afrika zu reisen.
Während ich zu meinem Vater hinunterging, um mich nach einem Sommerjob bei der Post zu erkundigen, fragte ich mich, ob die Wiener Polizisten in der U-Bahn jeden afrikanischen Lehrer als Drogenhändler verhaften, weil sie in Wahrheit nur eifersüchtig auf deren große Schwänze sind. Wenn die Asiaten in dem Ruf stünden, gut bestückt zu sein, würden vielleicht eher ihnen von den Medien und der Polizei alle möglichen Verbrechen in die Schuhe geschoben.
»Warum auf einmal?«, fragte mein Vater.
Er war seit Jahrzehnten bei der Post, genau wie meine Mutter. Beide waren Briefträger, und er war nicht der Typ, der seinem Sohn einen vernünftigen Job eingeredet hätte. In seiner Jugend wollte er Maler werden, entschied sich aber dann für die sichere Variante. Er kannte auch die Nachteile davon, wusste inzwischen, dass man nur dieses eine Leben hat und dass es flugs vergeht, und deshalb hatte er mich bei meinen kabarettistischen Ambitionen von Anfang an leidenschaftlich unterstützt.
»Wenn ich etwas flüssiger bin, macht das Leben mehr Spaß«, sagte ich.
Dass er bald Großvater werden würde, sagte ich ihm nicht. Er hatte seine künstlerischen Pläne damals aufgegeben, weil ich zur Welt gekommen war. Mein Fahrplan in mein neues Leben war noch zu roh und unausgegoren. Ich wollte ihn noch nicht der Kritik meines Vaters aussetzen, der womöglich versuchen würde, bei mir wiedergutzumachen, was er bei sich selbst verbockt zu haben glaubte.
»Mal sehen«, sagte er, und noch am selben Tag hatte ich die Telefonnummer eines Herrn Untergruber, der mich zwei Wochen später zu einem Vorstellungsgespräch empfangen wollte. Die Wartezeit verbrachte ich damit, Jakob im Krankenhaus zu besuchen, immer wieder Johannas Nummer zu wählen, mir den für den Job erforderlichen Strafregisterauszug zu beschaffen und zwecks Basisrecherche für mein neues Kabarettprogramm, das vor meinem inneren Auge immer mehr Gestalt annahm, die durchschnittliche Penislänge zu eruieren.
Der Strafregisterauszug war kein Problem und Jakob erholte sich zusehends. Da er in seinem Krankenzimmer schon so lange nichts mehr vom richtigen Leben mitbekam, unterhielten wir uns in erster Linie über Fernsehsendungen und Zeitungsartikel. Als spürte er instinktiv, was mich gerade beschäftigte, erzählte er mir von einem Interview mit einer Prostituierten, das er im Fernsehen gesehen hatte.
»Sie hat behauptet, dass sie die Penislänge jedes Mannes weiß, lange bevor er sich ausgezogen hat.«
»Das wäre einmal etwas Neues für ›Wetten, dass…?‹, findest du nicht?«
Er konnte inzwischen schon schmerzfrei kichern.
»Im Ernst«, sagte er. »Ist doch irre, oder?«
»Das kann jeder behaupten.«
Kurz schwiegen wir und jeder von uns war in Gedanken zwischen seinen Beinen.
»Wie die Nase des Mannes, so sein Johannes«, sagte Jakob schließlich.
Unsere Gedanken bewegten sich zu unseren Nasen.
»Angeblich ist das der gleiche Blödsinn wie die meisten Bauernregeln fürs Wetter«, sagte ich.
»Ich habe da noch einen Artikel gelesen«, sagte Jakob. »Aber wahrscheinlich ist es auch Blödsinn. In dem Artikel war folgende Formel angeführt: Die Penislänge entspricht der Fußlänge, plus fünf Zentimeter, geteilt durch zwei.«
»Nicht schlecht, dann haben wir ja genau gleich Lange, wir zwei.«
»Wahrscheinlich auch ein Unsinn.«
Unsere Gedanken wanderten in unsere Schuhe. Ich überlegte, wie viele Zentimeter wohl ein Fuß mit
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